Die Sehnsucht der Konkubine
eines Mannes, der aussah, als wäre er tot. Der Mann war auffallend groß und lag auf dem Rücken ausgestreckt am Boden, eine Kette mehrfach um den Hals gewickelt. Beide Enden der Kette waren an einem der Metallträger der Regale befestigt, mit denen die Wände gesäumt waren. Der Mann konnte den Kopf folglich nicht mehr bewegen als ein paar Zentimeter in beide Richtungen. Es war kein Wunder, dass seine Augen geschlossen waren. Konnte er atmen?
Alexej fragte mit kalter Stimme: »Popkow, musste das sein? Was sprach dagegen, ihn zu mir in die Kneipe mitzubringen und ihm bei ein paar mehr Gläsern Wodka Fragen zu stellen? Sag mir, du Hornochse, was sprach gegen diese Möglichkeit?«
Der Kosak sah ihn erstaunt an. Er streckte beide Hände den Flammen entgegen, um sich aufzuwärmen, und hob ratlos die Schultern. »Vielleicht hätte er uns keine Antworten geben wollen. So schien es mir irgendwie … sicherer.«
Das stimmte wahrscheinlich. Aber darum ging es nicht.
Mit einem angewiderten Schnauben machte Alexej die Kette von der Wand los. Ein leises Keuchen entfuhr dem Mann auf dem Boden. Wenigstens lebte der arme Teufel noch. Ohne äußeren Schaden genommen zu haben außer einer verräterischen Schwellung am Kinn, rollte er auf die Seite, murmelte etwas Unverständliches und begann zu schnarchen.
» Podnimaisja! Steh auf!«, bellte Alexej und verlieh seinen Worten mit einem Stiefeltritt Nachdruck.
Der Mann grunzte, das war alles. Alexej bückte sich, zog ihn hoch, und sie taumelten gemeinsam aus dem Schuppen in die eisige Nachtluft hinaus, wo der Alkohol in ihrem Körper sogleich gefror und der Wachsoldat zwar erschauderte, doch plötzlich nüchtern genug war, um sich allein aufrecht zu halten, und riskanterweise auf das Feuer in der Tonne zusteuerte. Der Mann war jünger, als sich Alexej zuerst gedacht hatte, hatte ein sauber rasiertes, gut aussehendes Gesicht und war wahrscheinlich Anfang dreißig.
»Also«, sagte Alexej. Je eher sie das Ganze hinter sich brachten, umso besser. »Ich muss dir ein paar Fragen stellen.«
»Hau ab.«
Mit diesen Worten begann der Wärter mit einem seltsam schlurfenden Gang auf den Eingang des Hofes zuzuwanken. Es sah aus wie eine Ente, die über Eis watschelte. Popkow trat vom Feuer weg und tippte ihn auf den Rücken, was bei ihm allerdings eher wie ein massiver Rempler ausfiel und den Mann wieder zu Boden schickte, wo er mit dem Gesicht nach unten, Arme und Beine ausgestreckt, im Schnee liegen blieb. Ehe er sich’s versah, saß Popkow auf seinem Rücken. Er riss dem Wärter die Mütze vom Kopf, warf sie ins Feuer, packte mit der Faust seinen blonden Haarschopf und riss den Kopf brutal nach oben. Dann wartete er darauf, dass Alexej mit dem Verhör begann.
Der Kosak war effizient, das musste Alexej ihm lassen, trotzdem widerten ihn seine Methoden an.
»Wie heißt du?«, wollte Alexej wissen.
Ein heiseres Krächzen kam aus der schmerzhaft zugedrückten Kehle des Mannes.
»Du Hornochse«, schimpfte Alexej, »lass den Mann reden.«
Der Kosak lockerte seinen Griff, damit der Wärter schlucken konnte.
»Dein Name, los.«
»Babitski.«
»Also, Babitski, es ist eigentlich ziemlich einfach. Ich möchte wissen, ob sich ein bestimmter Gefangener im Arbeitslager von Trowitsk aufhält.«
Babitski stöhnte.
»Wenn ich dir also einen Namen nenne, dann wirst du mir sagen, ob er da ist oder …«
»Njet.«
Ohne einen Moment zu zögern, stieß Popkow das Gesicht des Mannes gegen den Boden. Nur ein Mal. Aber als das Gesicht wieder zu sehen war, war die Nase mit Blut bedeckt.
»Mensch, verdammt noch mal, hör damit auf!«, fluchte Alexej wütend. »Babitski, du beantwortest jetzt meine Frage, dann kannst du gehen.«
Der Mann stöhnte und spuckte Blut. »Ich kenne die Gefangenen nur nach Nummern. Nicht mit Namen.«
Verdammt .
»Und wer hat die Namensliste?«
»Das Büro.«
»Wer arbeitet im Büro? Diesmal will ich einen Namen hören.«
Die Augen des Mannes trübten sich, und er hatte Schwierigkeiten zu atmen. Das war auch kaum überraschend mit einem Fleischberg auf seinem Rücken, der ihm die Luft abdrückte.
»Runter von ihm!«, befahl Alexej.
Einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke, und Alexej machte sich darauf gefasst, Popkow den Faustschlag zu verpassen, auf den er sich den ganzen Abend schon gefreut hatte. Doch Popkow war nicht dumm. Er bleckte die Zähne, ließ den Haarschopf des Mannes los und ging auf die Knie hoch, so dass er zwar immer noch auf dem Rücken des
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