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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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ihm vertrauen. Sie musste. »Im Maul des ausgestopften Bären vor der Herrengarderobe.«
    Ein Lichtstrahl von der Wasseroberfläche des Baches traf sein Gesicht und erhellte es. Er lachte, und beim Klang dieses Lachens breitete sich eine seltsame Zufriedenheit in ihrer Brust aus.
    »Du willst, dass ich sie dir zurückhole.« Er hatte es nicht als Frage formuliert.
    »Ja.« Sie begleitete ihre Antwort mit einer tiefen Verbeugung.
    »Warum ich? Warum nicht du?«
    »Ich darf nicht in den Club. Gestern Abend war es ein besonderer Anlass.« In der Stille, die folgte, spürte sie zum ersten Mal, wie schwerwiegend das war, worum sie ihn bat.
    »Ich darf dort auch nicht rein«, erinnerte er sie. »Chinesen dürfen den Club nicht betreten. Sag mir also, wie ich es schaffen soll, die Hand in das Maul dieses Bären zu stecken.«
    »Das liegt ganz bei dir. Du hast dich doch schon als sehr … findig erwiesen.«
    »Dir ist aber bewusst, dass man mich einsperren wird, wenn ich geschnappt werde? Oder Schlimmeres.«
    Sie schloss die Augen. Angewidert von sich selbst. »Ich weiß«, flüsterte sie.
    »Lydia.«
    Sie öffnete die Augen und blinzelte vor Erstaunen. Ohne ein Geräusch dabei zu machen, hatte er den Grasstreifen zwischen ihnen überquert und stand vor ihr, groß und geschmeidig und doch so regungslos, als würde er kaum atmen.
    »Ich könnte hingerichtet werden.«
    Sie schüttelte ihr Haar und begegnete seinem Blick. »Dann lass dich eben nicht erwischen.«
    Er lachte, und in diesem Moment spürte sie die wilde Kraft seiner Energie, die er sonst so gut verborgen hielt. Er berührte ihre Hand, nur einen winzigen Augenblick lang streifte er ihre Haut, aber mehr bedurfte es auch nicht, denn sie hatte begriffen. Er war wie sie. Unter Gefahr floss sein Blut schneller. Was andere als Risiko betrachteten, war für ihn eine Verlockung. Sie waren wie Spiegelbilder, wie zwei Hälften derselben Sache, und dieser kurze Moment, in dem sich ihre Haut berührt hatte, führte diese Hälften wieder zusammen.
    »Chang An Lo«, sagte sie ernst. »Sorg dafür, dass du nicht erwischt wirst.« Sie neigte den Kopf zur Seite und schaute ihn an. »Denn dann kriege ich meine Kette nicht.«
    Er lächelte sie an, den Mund sanft verzogen. »Ist sie denn so wertvoll?«
    »Ja. Sie ist aus Rubinen gemacht.«
    »Ich meinte«, hier hielt er inne und blickte ihr forschend ins Gesicht, »ist sie dir denn so wertvoll?«
    »Natürlich. Wie kann ich es denn sonst endlich zu etwas bringen? Zu einem richtigen Leben, nicht dieser armseligen Existenz. Für mich … und für meine Mutter. Sie ist Pianistin. Wie sonst kann ich ihr jemals das Erard-Piano kaufen, das sie sich so sehr wünscht?«
    »Ein Klavier?«
    »Ja.«
    »Du würdest alles riskieren … für ein Klavier?«
    Urplötzlich tat sich zwischen ihnen eine Kluft auf, die unergründlich tief war. Eine Kluft, von der sie beide gar nicht gewusst hatten, dass sie existierte.

DREIZEHN

    E s klopfte an der Tür. Ein Geräusch, das Lydia ruckartig nach Russland und in die Gegenwart zurückholte. Ein dumpfes Gefühl der Vorahnung machte sich in ihr breit, während ihr die letzten Fetzen der Erinnerung entrissen wurden. Sie rollte von ihrer Bettdecke herunter und fror mit den nackten Füßen auf dem Dielenboden, obwohl sie in ihren Mantel gehüllt war. Zu ihrer Überraschung lag Elena auf dem anderen Bett, in tiefen Schlaf versunken. Sie hatte sie ganz vergessen. Der Mund der Frau stand offen, doch im Schlaf sah sie jünger und hübscher aus, irgendwie nicht mehr so Respekt einflößend.
    Es klopfte abermals an der Tür. Für Lydia erübrigte sich die Frage, wer das war. Kurz überlegte sie, ob sie überhaupt aufmachen sollte, doch sie wusste, er würde nicht aufgeben. Ihr Bruder gab nie auf. Sie öffnete die Tür und fand Alexej draußen auf dem Flur vor, das längliche Gesicht verfroren und voller Sorge. Es gelang ihm nicht, den Ausdruck der Erleichterung zu verbergen, der bei ihrem Anblick aufflackerte, und sie wusste nicht, ob sie das freuen oder verärgern sollte. Genau in diesem Moment fühlte sie sich einfach zu einsam, als dass es ihr etwas bedeutete.
    »Du bist hier«, sagte er.
    »Ja. Ich hab’s doch versprochen.«
    »Gut.«
    Es blieb nichts mehr zu sagen. Er hatte nachgeprüft, ob sie da war; das war alles. Hinter den papierdünnen Wänden des Hotels begann im Zimmer nebenan plötzlich eine Frau zu lachen, doch Lydia stand nicht der Sinn nach einem Lächeln. Das Loch der Einsamkeit in ihr war zu groß,

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