Die Sehnsucht der Konkubine
nicht gewartet?
Er befürchtete, sie könnte zum Lager gefahren und festgenommen worden sein.
»Und der Mann, mit dem sie zusammen war? Der Große …«
»Ich erinnere mich an ihn.« Zum ersten Mal lächelte die Frau, was sie fast hübsch machte. »Er ist auch weg. Sie sind zusammen weg.«
Ihr Gedächtnis schien besser zu werden, weshalb er es noch einmal versuchte. »Ich hab noch eine Tasche in meinem Zimmer. Ist die …«
»Alle Besitztümer, die im Zimmer zurückbleiben, werden drei Tage aufbewahrt und dann zur Begleichung der ausstehenden Zimmermiete verkauft.«
»Aber ich bin mir sicher, meine Schwester wäre für alles aufgekommen.«
Die Frau zuckte gleichgültig mit den Achseln. Die Sache begann sie offenbar zu langweilen.
»Danke«, sagte er höflich und lächelte sie an.
»Gern geschehen.«
»Könntest du vielleicht nachschauen, ob meine Tasche nicht doch irgendwo herumliegt?« Er sagte es recht freundlich, aber ein Blick in seine Augen brachte sie ins Zögern, und sie schüttelte den Kopf. Sie ging zu einem finsteren Kabuff, verschwand für mehr als eine Minute, kehrte jedoch mit leeren Händen zurück.
»Njet« , sagte sie. » Nitschewo . Nichts.«
»Danke, Genossin. Für deine Hilfe.«
Mein lieber Alexej,
ich schreibe Dir dies in der Hoffnung, dass Du nach Felanka zurückkehrst. Ich möchte, dass Du dann diesen Brief vorfindest. Ich hab auf Dich gewartet, Alexej. Drei ganze Wochen – ohne eine Nachricht. Aber du kamst nicht zurück. Wo bist Du? Ich schwanke zwischen großer Sorge und Wut auf Dich, weil Du mich im Stich gelassen hast. Ist es Dir denn egal, dass Du mir wehtust?
Und nun zu praktischen Dingen:
Ich lege Dir etwas Geld bei. Falls du in Schwierigkeiten bist.
Deine Tasche ist nicht in Deinem Zimmer. Also muss ich davon ausgehen, dass Du geplant hattest wegzufahren. Popkow hat die Schänken abgeklappert, um etwas über Deinen Verbleib zu erfahren, aber keiner konnte ihm etwas sagen. Vielleicht weiß auch niemand was.
Und jetzt kommt die wichtigste Neuigkeit: Ich fahre nach Moskau. Mit Popkow und Elena. Bei Elena bin ich mir nicht so sicher, warum sie uns begleitet, aber mein geliebter Bär und sie scheinen einen Narren aneinander gefressen zu haben.
Warum Moskau? Papa ist dort. Denk doch mal, Alexej. Papa ist in Moskau, nicht in einer Kohlemine. Ich könnte weinen vor Freude. Man hat mir eine Nummer zugespielt – 1908. Ich dachte, es sei eine Jahreszahl, aber das ist es nicht. Popkow hat mir erklärt, das sei ein Geheimgefängnis in Moskau. Ich danke Gott für Popkow.
Heute fahren wir mit dem Zug los. Ich wünschte, Du wärst bei uns. Pass gut auch Dich auf, mein einziger Bruder. Wenn Du diesen Brief findest und beschließt, nach Moskau zu kommen, triff mich zur Mittagszeit vor der Christ-Erlöser-Kathedrale. Ich werde dort jeden Tag auf Dich warten.
Es grüßt Deine Schwester in Liebe – und in Wut.
Lydia
Es lag kein Geld in dem Brief. Natürlich nicht. Die Portiers in Hotels waren Experten darin, versiegelte Briefe unter Dampf zu öffnen. Das war in Sowjetrussland ebenso bekannt wie die Farbe des Schnees – jeder wusste es, jeder hielt es für selbstverständlich. Anscheinend jeder bis auf Lydia.
Das Geld war weg, und er hatte keine Möglichkeit, zu beweisen, dass es jemals dort gewesen war. Aber das sollte seine geringste Sorge sein. Er saß allein auf einer eisernen Bank in dem verlassenen Park und trank seinen letzten Rest Wodka. Die Flüssigkeit sollte den Kloß wegbrennen, der irgendwo in seiner Kehle steckte.
Mein geliebter Bär.
Ich danke Gott für Popkow.
Das hatte sie geschrieben .
Zum Teufel mit dem blöden Kosaken. Dieser Hurensohn musste doch dermaßen zufrieden mit sich selbst sein. Bloß weil er Bediensteter auf dem Gut ihres Großvaters gewesen war und diese hündische Ergebenheit auf Lydia übertragen hatte, gab ihm das nicht das Recht, jetzt einfach die Führung zu übernehmen und sie zu irgendeinem gefährlichen Unternehmen nach Moskau abzuschleppen. Natürlich war Jens Friis nicht dort. Es war nur eine schreckliche Verschwendung ihrer Zeit und Ressourcen. Und das Dilemma war – sollte er hier in Felanka bleiben und auf ihre unweigerliche Rückkehr warten? Oder sollte er ihnen hinterherreisen und sie zurückbringen?
Ist es Dir denn egal, dass Du mir wehtust?
Es ist mir nicht egal, kleine Schwester. Es ist mir überhaupt nicht egal.
Es war das Haar, das für ihn den Ausschlag gab. Wie es gleich einer glänzenden Flut über ihre Schultern hing, bis
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