Die Sehnsucht der Konkubine
sich und ergriff seine Hand. Ihre behandschuhten Finger fühlten sich warm an, als er sie zur Tanzfläche führte und in seine Arme nahm. Der Mann am Klavier schaute verblüfft drein und stimmte auf der Stelle einen Walzer an.
Alexej hielt sie nicht zu fest an sich gedrückt, aber nah genug. Er roch ihr würziges Parfüm und sah, wie sorgfältig sie sich darum bemüht hatte, die dunklen Ringe unter ihren Augen zu überschminken.
»Du stinkst«, sagte sie lächelnd.
»Tut mir leid«, erwiderte er und lachte.
»Ist schon in Ordnung. Es gefällt mir sogar. Du …«
»Pst«, murmelte er und zog sie enger an sich. Seine Hand lag ganz leicht auf ihrem Rücken, und er spürte den zarten Schwung jeder Rippe unter seinen Fingern. »Tanz.«
ZWANZIG
A lexej, warum fährst du wie ein Verrückter kreuz und quer durch Russland?« Antonina lag in den Kissen und rieb ihre Wange an seiner Schulter. »Was treibt dich dazu, etwas so Wahnsinniges zu tun?«
Alexej setzte sich auf und fluchte innerlich darüber, dass seine Verletzungen ihn immer noch bei jeder Bewegung behinderten. Er blieb auf der Kante sitzen, wobei seine Füße die Satinlaken streiften, die zerknüllt auf dem Boden lagen. Er drehte ihr den Rücken zu. Einen Augenblick später hörte er etwas rascheln, spürte, wie sich im Bett hinter ihm etwas regte und ihr behandschuhter Finger sanft über seinen Rücken strich, seinen nackten Rücken hinab vom Hals bis zum Gesäß. Ganz zart und bestimmt.
»Sag’s mir, Alexej.«
Ihre Lippen fanden genau den Punkt unterhalb seiner Schulterblätter, wo unablässig ein Nerv pulsierte. Er legte den Kopf in den Nacken, so dass er sich an den ihren schmiegte, und sogleich schlang sie die Arme um ihn, drückte ihre nackten Brüste an seinen Rücken, und ihre Finger liebkosten behutsam die Narbe an seiner Seite. Eine Weile gab es nichts als die Stille und das Pulsieren ihrer beider Herzschläge.
»Ich bin geboren und aufgewachsen in Leningrad, obwohl es für mich immer noch St. Petersburg ist«, sagte er. »Der Mensch, von dem ich glaubte, er sei mein Vater, war Mitglied des dortigen Stadtrats und unterstand damit der Weisung der Duma oder des Zaren. Ich sah ihn kaum.« Er schwieg einen Moment und fügte dann nachdenklich hinzu: »Und ganz gewiss habe ich nie erfahren, was für ein Mann er eigentlich war.«
Einer ihrer Finger, die auf so seltsam reizvolle Weise immer noch in ihrer Hülle aus Rehleder steckten, während Antonina ansonsten nackt war, wanderte zu der Narbe an seinem Oberschenkel und begann sie genüsslich zu umkreisen, eine Zärtlichkeit, bei der ihm fast die Sinne schwanden.
»Meine Mutter«, fuhr er fort, »führte ein ausgeprägtes gesellschaftliches Leben, ging andauernd zu Bällen und Empfängen, und ich hatte einen Privatlehrer. Andere Kinder gab es nicht. Nur Erwachsene.«
»Ein einsames Leben für einen kleinen Jungen.«
»Bloß einen Mann gab es da. Ich kannte ihn nur als Onkel Jens, Jens Friis. Er kam jede Woche zu Besuch und zeigte mir, wie die Kindheit eines Jungen wirklich verlaufen sollte.«
»Du lächelst«, stellte sie fest, obwohl sie ihm gar nicht ins Gesicht sehen konnte. »Diesen Onkel Jens mag ich jetzt schon.« Sie streifte mit ihrem Haar seine Haut, und er spürte, wie erneut Lust in ihm aufwallte.
»Als ich zwölf war, nahm mich meine Mutter nach China mit.« Die Bolschewiken erwähnte er mit keinem Wort. »Doch kaum hatte sie erfahren, dass mein Vater im Bürgerkrieg gestorben war, heiratete sie in zweiter Ehe einen französischen Industriellen.«
»Sag bloß, du hast einmal in Paris gelebt. Ich werde gelb vor Neid. All die wunderschönen Kleider.«
»Nein, du frivoles Ding«, lachte er. »Wir blieben in China. Dort gibt es eine große russische Gemeinschaft, und sobald ich alt genug war, wurde ich Mitglied der Koordinationsdelegation, weil ich sowohl Russisch als auch Chinesisch sprach.«
Sie zog an einer Strähne seines fettigen Haares und sagte neckend: »Ach, dann ist ja unter all dem Dreck doch ein intelligentes Köpfchen versteckt.«
Er lachte wieder, und das fühlte sich gut an. Er hatte vergessen, wie gut es tat zu lachen. Er drehte sich um und schlang die Arme um ihren nackten Körper, küsste sie auf die Lippen und genoss ihre weiche, geschmeidige Erwiderung. Doch einen Moment später schob sie ihn von sich, ließ nur ihre Hand auf seiner Brust liegen.
»Und?«, wollte sie wissen. »Wie ist aus dem Verbindungsoffizier in China der heruntergekommene Landstreicher in
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