Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
Vom Netzwerk:
Tresen mit einem respektvollen Nicken und zupfte an den Ärmeln seiner schlecht sitzenden Jacke. Er stand stramm, das Kinn in die Luft gereckt. Ganz offenbar war er früher beim Militär gewesen, und seinem Gesicht war nichts mehr von der gelangweilten Herablassung anzumerken, die er vorher zur Schau getragen hatte. An ihre Stelle war eine Unterwürfigkeit getreten, die Lydia überraschte und sie dazu brachte, ihren Entschluss zu verschwinden, noch einmal zu überdenken. In diesem einen kurzen Moment war der Mann verwundbar.
    » Dobroje utro , Boris.« Der Mann in dem makellosen Anzug sprach in einem leutseligen Ton. Sein Blick wanderte zu Lydia hinüber, als er fragte: »Ist der Bevollmächtigte zu sprechen?«
    »Nein, Genosse. Er bat mich, ihn zu entschuldigen. Er wurde in den Kreml abberufen.«
    Der Neuankömmling hob eine Augenbraue. »Wirklich?«
    » Da . Er bat mich, für morgen einen Termin mit dir auszumachen, Genosse Vorsitzender.«
    Über das Gesicht des Vorsitzenden Malofejew huschte so etwas wie Verärgerung. Es war ein klar geschnittenes Gesicht, zu lang, um als gut aussehend durchzugehen, doch strahlte es eine Energie aus, die es immerhin bemerkenswert machte, und in der Art, wie er den Mund verzog, zeigte sich auch ein gewisser Humor. Lydia fühlte sich so unwohl, als er sie mit seinen kühlen grauen Augen musterte, dass sie, als er gleichgültig abwinkte und sagte: »Was soll’s? Vielleicht ist er morgen auch noch nicht da«, einen Moment lang keine Ahnung hatte, wovon er redete. Dann dämmerte es ihr. Er sprach von dem Bevollmächtigten, dem gesichtslosen Apparatschik, der so plötzlich in den Kreml abberufen worden war.
    »Ich möchte auch um einen Termin bitten«, sagte sie schnell, »morgen, mit dem Bevollmächtigten.«
    Beide Männer starrten sie überrascht an. Sie fühlte sich so exponiert wie jemand, dem gerade ein zweiter Kopf gewachsen war.
    Boris kniff die Augen zusammen und trommelte heftig mit seinem Stift auf den Tisch. »Was hast du mit dem Bevollmächtigten zu schaffen?«, wollte er wissen.
    »Ich hab es dir doch gesagt, Genosse, dass ich …«
    »Der Bevollmächtigte befasst sich nicht mit Angelegenheiten wie der deinen.« Der Mann warf Malofejew einen verstohlenen Blick zu, und Lydia wusste, dass er nervös war.
    »Aber du willst die Erkundigungen nicht einziehen, um die ich gebeten habe, Genosse«, sagte sie. »Dann muss ich mich an eine andere Stelle wenden.«
    Sofort tauchte ein Formular auf dem Tresen auf. »Name?«, fragte er.
    Das war ein Täuschungsmanöver. Sie war überzeugt davon, dass das Formular im Papierkorb landen würde, sobald der Mann im schicken Anzug weg war. Schneller, als sie »Danke« sagen konnte.
    »Was möchtest du denn, Genossin?«, fragte Malofejew mit Interesse. »Was weckt denn in einem so hübschen Mädchen einen so großen Eifer?«
    Sie wandte sich um, und es fiel ihr nicht schwer, für diesen Mann mit seinem lässigen Charme, der ganz offenbar einen bedeutenden Posten innehatte und als Allererster wenigstens einen Schimmer von Interesse für ihr Problem gezeigt hatte, ein Lächeln aufzubringen.
    »Ist nicht wichtig«, sagte der Mann am Tresen rasch.
    »Mir ist es wichtig«, sagte sie.
    »Worum geht es?«
    »Genosse Malofejew«, mischte sich Boris ein. »Dieses Mädchen fällt dem Büro schon seit Wochen auf die Nerven und verschwendet meine Zeit mit irgendeiner unbedeutenden Angelegenheit, die sie …«
    »Es ist keine unbedeutende Angelegenheit«, sagte Lydia ruhig, die Augen fest auf Malofejews Gesicht gerichtet. »Es ist wichtig.«
    »Beachte sie gar nicht, Genosse Vorsitzender, sie ist es nicht wert …«
    Malofejew brachte den Mann am Tresen mit einer abrupten Handbewegung zum Schweigen.
    »Genosse Malofejew«, sagte Lydia und zupfte an der Mütze herum, die sie immer noch in den kalten Fingern hielt. »Ich bin eine anständige Sowjetbürgerin und habe eine wichtige Nachricht an ein Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas zu überbringen. Ich habe schon versucht, ihn über dieses Verbindungsbüro zu erreichen, doch …«
    »Ihn?«
    »Ja.«
    »Und warum überrascht mich das eigentlich nicht?«
    Sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen, während er ihr ganz langsam ein fragendes Lächeln schenkte. Unvermittelt wandte er sich wieder dem Mann am Tresen zu.
    »Telefon«, sagte er und streckte ihm eine Hand hin.
    Der Mann griff hinter sich an die Wand, wo ein schweres, schwarzes Telefon hing. Er nahm mit zögerlichen Bewegungen den Hörer

Weitere Kostenlose Bücher