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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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ernst, und das Lachen war wie weggeblasen.
    »Wie Stalin die Herzen und das Denken der Moskowiter verändert. Indem er wunderschöne kommunale Wohnungen baut, in denen alles geteilt wird, selbst Kleidung und die Erziehung der Kinder.« Sie hob die Augen und ließ einen Hauch Bedauern in ihrer Stimme mitschwingen. »In Wladiwostok sind die Leute noch nicht so bereit für eine Veränderung. Trotz der neuen Fabriken und Arbeitsmöglichkeiten, die der Kommunismus ihnen bietet, klammern sie sich an ihre alte bürgerliche Lebensweise.«
    »Ist das so?«
    »Ja.«
    Sie bemerkte, wie sich ihre Hände nervös am Besteck zu schaffen machten. Sie zwang sich, sie ruhig zu halten. »Ich möchte ein Teil der aktivistischen Bewegung sein. Ich möchte an vorderster Front mit den Konstruktivisten und den Kinoki kämpfen, die dem Volk eine ganz neue Art von Kino und Musik und von Design bringen.«
    Danke, lieber Alexej, dafür, dass du mir so viele Bücher in die Hand gedrückt hast, damit ich mehr über das neue, moderne Russland erfahre. Wir müssen vorbereitet sein, hast du immer gesagt.
    »Siehst du, ich hab doch gewusst, dass du Künstlerin bist.« Er hob eine seiner sandfarbenen Augenbrauen. »Aber für jemanden, der aus der Hinterwäldlergegend um Wladiwostok kommt, bist du bemerkenswert gut informiert.«
    »Ich lese viel.«
    »Offensichtlich. Also, dann sag mir, was du sehen möchtest?«
    »Ich möchte Eisensteins Filme sehen – wie Oktober. Es ist wundervoll, dass er mit Laienschauspielern arbeitet, mit richtigen Menschen. Es geht darin um das junge Proletariat, um sein Aufbegehren gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung.« Sie hörte selbst, wie aufgeregt ihre Stimme plötzlich klang.
    Er nickte. »Ich gebe zu, dass das Kino eine wirksame Waffe in der Erziehung der Massen ist. Damit kann man ihren Verstand schulen und ihnen dabei helfen, das sozialistische Gedankengut besser zu begreifen.« Er hielt inne, zupfte sich nachdenklich an seinem langen Ohrläppchen. »Und was noch?«
    Einen Moment lang geriet ihr Denken ins Schlingern, und sie musste sich ganz auf diesen Mann konzentrieren, der möglicherweise ihre einzige Möglichkeit war, einen Weg zu Chang An Lo zu finden. Aufpassen.
    »Was noch?«, fragte er noch einmal.
    Sie dachte sorgfältig nach. »Ich möchte Tatlins Entwürfe sehen und Schostakowitschs Musik hören. Wusstest du, dass er in seiner zweiten Sinfonie sogar Fabriksirenen eingesetzt hat?« Ihre Mutter hätte das schrecklich gefunden. Vulgär, hätte sie es genannt.
    »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Und«, sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, »und es heißt, man plane hier in Moskau den Bau einer unterirdischen Eisenbahn.«
    Er sagte nichts. Starrte sie nur ernst über den Tisch hinweg an. Hatte sie den Bogen überspannt? Und würde sie jeden Moment in die reißenden Fluten des Flusses fallen, den sie doch eigentlich überqueren wollte?
    »Arbeit«, sagte er schließlich. »Du erwähnst gar keine Arbeit.«
    »Ach, natürlich möchte ich arbeiten.«
    »Und was genau?«
    Was genau? Was sollte sie jetzt sagen? Lehrerin? Bibliothekarin? Oder gar Pianistin, wie im Märchen?
    Sie griff nach ihrem Glas, schwenkte den Wein herum und dachte, was für eine Ironie das doch war. »Natürlich Fabrikarbeiterin. Ich bewerbe mich für eine Arbeit in der AMO -Automobilfabrik.«
    »Ich kenne den Geschäftsführer dort, Likatschew. Ein gutes Parteimitglied, obwohl er manchmal mit den Worten schneller bei der Hand ist als mit dem Denken. Er ist zusammen mit mir im Moskauer Stadtkomitee. Ich könnte ein gutes Wort für dich einlegen.«
    Trotz des Weines fühlte sich ihre Zunge wie ausgetrocknet an.
    »Spassibo« , sagte sie. »Aber ich würde mir lieber selbst eine Arbeit suchen.«
    Er lächelte und hob sein Glas. »Auf den Erfolg.«
    »Da.« Sie atmete wieder aus. »Auf den Erfolg.«
    Das Essen war gut. Etwas anderes hatte sie auch nicht erwartet. Doch sie schmeckte es kaum, erinnerte sich nur vage an das, was sie sich in den Mund schob. Sie ermutigte ihn dazu, etwas über sich selbst zu erzählen. Zuerst war er auf der Hut, gab nicht mehr preis als die Tatsache, dass er im Arbat in der Nähe des Restaurants Praga wohnte und erst kürzlich nach Moskau zurückgekehrt war, nachdem er zwei Jahre lang in Sibirien einen völlig anderen Posten innegehabt hatte.
    »Warum wolltest du denn überhaupt aus Moskau weg?«, fragte sie.
    Malofejew fuhr sich mit der Hand durch das Haar, einen Moment lang offenbar

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