Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
Vom Netzwerk:
das beunruhigende Ähnlichkeit mit einer Ratte hatte … Lydia machte einen gewaltigen Satz zurück auf den Bürgersteig und stieß mit einem Passanten zusammen, der gerade vorbeikam. Der Mann ließ fluchend seinen Schirm fallen und schimpfte über ihre Ungeschicklichkeit.
    »Tut mir leid«, sagte sie und fuhr noch einmal zu dem Jungen herum.
    In seine Arme geschmiegt saß ein Welpe mit grauem Fell. Das kleine Wesen schien aus nichts anderem zu bestehen als aus den riesigen braunen Augen, den langen, seidigen Ohren und knochigen Rippen, die so zart aussahen, als würden sie brechen, wenn man sie berührte. Der kleine Hund leckte den Jungen voller Begeisterung am Kinn, doch bevor Lydia auch nur ein Lächeln zeigen konnte, waren Junge und Hund in der Menschenmenge verschwunden.

DREIUNDZWANZIG

    D as Metall sang für ihn. In der Schmiede des Gefängnisses konnte Jens Friis seine Stimme hören, während er es bearbeitete. Er lauschte seinem zischenden Lachen, während er ein Stück an das andere schweißte, spürte sein Beben, wenn er Nieten einsetzte, um es zu verstärken, ihm Struktur zu verleihen. Er hatte ganz vergessen, wie sehr er es liebte, mit verschiedenen Metallen zu arbeiten, ihre Beschaffenheit zu überprüfen und auf ihre Schwächen zu achten. So wie bei Menschen. Ein jedes war einzigartig.
    Zehn Jahre lang hatte er im Arbeitslager mit nichts anderem zu tun gehabt als mit Holz. Hatte endlose Wälder gerodet. Der Duft nach Kiefern war so sehr ein Teil von ihm geworden, dass er den Geruch des Waldes nicht mehr von dem seiner eigenen Haut unterscheiden konnte. Manchmal – in Zeiten der Verzweiflung – hatte er auf der rauen, bitteren Borke herumgekaut. Sie lag schwer und unverdaulich im Magen, doch sie verschaffte ihm auch die Illusion, etwas zu essen zu haben, wenn er sie am meisten brauchte. Dafür war er dankbar.
    Manchmal am Morgen, wenn er in der abgestandenen, von menschlichen Ausdünstungen durchtränkten Luft in der überfüllten Gefangenenbaracke erwachte, hatte er aufmerksam seine Fingerspitzen betrachtet, weil er davon überzeugt war, eines Tages würden sich an ihnen grüne Knospen zeigen, zuerst zu winzigen Zweigen und irgendwann zu dicken Ästen heranwachsen, die er dann Tag für Tag mit sich hinaus zu der Arbeitszone schleppen müsste.
    Sonderbar, was der Hunger alles mit einem machte.
    »Schneller. Diese Arbeit muss schneller gehen.«
    Diese Worte wurden von Oberst Tursenow gesprochen, doch die beiden Männer, die neben ihm standen, gaben mit ihrem heftigen Nicken zu verstehen, dass sie ihm beipflichteten. Der Oberst war in seiner Position als Aufseher des Entwicklungszentrums ein vernünftiger Mann, doch er stand unter gewaltigem Druck. Lazar Kaganowitsch höchstpersönlich, ein führendes Mitglied des Sowjetischen Politbüros, rief jeden Freitagabend an, um sich nach den Fortschritten zu erkundigen. Was bedeutete, dass jeden Samstagmorgen um sieben Uhr die sechs leitenden Ingenieure in Tursenows Büro antreten und strammstehen mussten, um ihre Befehle zu empfangen und zu neuen Höchstleistungen angetrieben zu werden.
    Jens Friis trat einen Schritt nach vorne. Damit gab er zu verstehen, dass er etwas sagen wollte.
    »Was denn, Gefangener Friis?«
    »Oberst, wir arbeiten bereits Tag und Nacht, und die Konstruktion macht stetige Fortschritte – was für uns alle oberstes Gebot ist«, fügte er feierlich hinzu. »Aber der Grund, warum die Testphase letzte Woche unterbrochen werden musste, liegt darin, dass das Metall, das wir für die hinteren Stützstreben zur Verfügung hatten, sich als minderwertig herausgestellt hat. Es war zu spröde und brach unter dem Gewicht der …«
    »Ruhe!«
    Jens zwang sich zu schweigen. Doch er trat nicht ins Glied zurück. Die anderen Ingenieure, Gefangene wie er, waren klüger. Sie sagten keinen Ton, sondern hielten die Augen starr auf Tursenows gewienerte Stiefel gerichtet und nickten jedes Mal, wenn er etwas sagte. Der Oberst war ein großer Mann mit einer lauten Stimme. Heute jedoch klang die Stimme weich. Der Mund des Obersts verzog sich zu einem enttäuschten Lächeln, das sie alle zur Genüge kannten, und Jens befürchtete, er verdächtige jemanden der Sabotage, doch es fiel kein Wort darüber. Als das Schweigen in dem Büro so lange andauerte, dass es allmählich wehtat, wandte sich Tursenow an die untersetzte Frau mit dem metallisch grauen Haar hinter ihm, die ein Notizbuch und einen roten Bleistift in der Hand hatte.
    »Genossin Demidowa«, sagte er,

Weitere Kostenlose Bücher