Die Sehnsucht der Krähentochter
eindrucksvolle. Aber wie ich sehe, können Sie mit ihrer
außergewöhnlichen Anmut mithalten.« In seinen Augen glitzerte Frechheit. »Mir
scheint, Sie übertreffen sie sogar. Dabei gibt es doch kaum etwas Schöneres als
eine Wölfin wie diese.«
»Und das aus dem Mund
eines Wolfsjägers«, überging Bernina das Kompliment mit frostigem Ton.
Er lachte. »Sie haben
recht, ich sollte mir eine andere Beschäftigung suchen. Die Wölfe liegen mir
eigentlich viel zu sehr am Herzen.« Es war unverfroren, wie sein Blick an ihr
herabglitt und jede Einzelheit aufnahm. Ihr weich fallendes Haar, ihr Gesicht.
Die gepufften Ärmel, der bunt bestickte Stoff ihres Kleides, der auffallend
breite Gürtel mit der großen Messingschnalle, die unterhalb ihrer Brüste
aufblitzte.
»Dann hoffe ich, Sie
finden das Richtige«, meinte sie. »Vielleicht gibt es ja mal wieder ein paar
Menschen in Flammen zu setzen und ins Jenseits zu befördern.«
»Ob es Ihnen gefällt
oder nicht, meine forsche Dame: Ich habe schon so manches Leben auslöschen müssen.
Sehen Sie, man hat nicht immer die Wahl. Vor allem, wenn Krieg herrscht. Um zu
überleben, muss man hin und wieder dem Teufel ins Gesicht spucken.«
»Sie
halten sich für einen äußerst starken Mann, nicht wahr? Für einen, den nichts
so leicht umwirft, der immer obenauf bleibt?«
Sein
Grinsen wurde breiter. Sichtlich amüsiert, wartete er darauf, dass sie weiter
sprach.
Ihre
Stimme klang hart: »Ich denke allerdings, dass Sie ein Schwächling sind. Und
dass die vielen Worte, die Sie gerade gebraucht haben, nichts weiter sind als
Phrasen – nichts als eine jämmerliche Ausrede für das, was Sie tun.« Bernina
sah ihm in die Augen. »Eben die Ausrede eines Schwächlings.«
In
seinem Gesicht regte sich etwas. Zum ersten Mal wirkte er verdutzt. Er öffnete
ein wenig den Mund, wollte wohl etwas erwidern, doch Bernina lief los, ließ ihn
einfach stehen. Während sie zielstrebig an ihm vorüber schritt und dabei sogar
seinen Arm streifte, fühlte sie, wie er sie betrachtete, fühlte es so deutlich
wie zuvor den Blick aus diesen geschlitzten Wolfsaugen. Sie sah nicht mehr
zurück, bis sie den Mann endlich hinter sich gelassen hatte und die
Unwegsamkeit des Waldes sie voneinander trennte. Erst als sie spürte, dass sie
allein war, atmete sie durch.
Der
Abend hatte sich über das Land gesenkt. Bernina blickte hin und wieder kurz
zwischen sich kreuzenden Ästen nach oben. Sterne funkelten, der Mond war dabei
sich zu füllen. Der Wald lichtete sich, gab die Sicht frei. Doch von den
Gebäuden des Petersthal-Hofes waren nur die Umrisse zu sehen. Stille und
Schatten, sonst nichts. Aus dem Schuppen rechts des Hauptgebäudes, wo zurzeit
zwei Knechte und zwei Mägde untergebracht waren, drang schwaches, gelblich
fließendes Licht von Talgkerzen nach draußen.
Bernina
hatte die Begegnung mit dem Wolfsjäger endlich verdrängt, als sie die letzten
Schritte zum Haus zurücklegte. Leer starrte es ihr entgegen. Insgeheim hatte
sie darauf gehofft, ihre Mutter wäre in der Zwischenzeit aufgetaucht. Wo mochte
sie nur sein?
Anselmos
kurze unerklärliche Nachricht und das Holzkästchen schwirrten unablässig durch
Berninas Gedanken. In der Nähe schrien Krähen der Nacht entgegen. Jetzt erst
bemerkte sie die winzige Gestalt, die an der Hausecke lehnte. Sie blieb stehen.
»Sie
waren lange fort«, sagte Baldus. Er wirkte, als hätte er sich die ganze Zeit
über nicht von der Stelle gerührt. Seine Stimme schwebte durch die Abendluft.
»Kein Grund zur Sorge.«
»Dann werde ich mich
zurückziehen.«
»Ich muss morgen etwas
mit dir besprechen. Irgendwann im Laufe des Vormittags.« Schon dachte sie
daran, wie sie das Fehlen Anselmos am sinnvollsten ausgleichen konnte und wie
sie die anfallende Arbeit neu auf die Knechte verteilen musste. Dann erst wurde
ihr bewusst, wie bedrückend diese Gedanken für sie waren.
Baldus nickte. »Ich
werde da sein.« Er beobachtete, wie Bernina ins Haus verschwand.
Drinnen angekommen,
hörte sie noch, dass er sich mit seinen ungelenk erscheinenden Schritten
entfernte. Das Gebäude, das zu ihrem Zuhause geworden war, strahlte erstmals
etwas Fremdes, Kaltes aus. Ohne etwas essen zu können, bereitete sich Bernina
für die Nacht vor. Sie fühlte sich todmüde, aber als sie sich ins Bett legte,
war ihr klar, dass sie nicht würde einschlafen können. Während sie sich von
einer Seite auf die andere drehte, hörte sie Wolfsgeheul.
Sie erblickte wieder die
Wölfin vor sich, ganz
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