Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
der Tuesday einzunehmen.
Die Einladung war erstaunlich, denn O’Connor hatte bei seiner Ankunft eher den Eindruck gemacht, als wolle er seine Frau an Bord nehmen und dann die El Capitano , die Sea Snake und deren Besatzungen so schnell und so weit wie möglich hinter sich lassen. Und noch verblüffender war, dass die Einladung nicht nur an Charles erging, sondern auch an Harriet, Lan Meng und sogar an Captain Harding. Dieser lehnte allerdings dankend ab, wobei er seine Absage mit einigen sehr bissigen Bemerkungen, die Jessica zum Erröten gebracht hätten und Harriet kichern ließen, würzte.
Charles sah Johnson an, der ebenfalls geladen war. Schließlich war er der Captain des Schiffes, das Jessica gerettet hatte. »Wenn Sie nicht mitkommen wollen, werde ich Sie entschuldigen.«
Johnson schüttelte tapfer den Kopf. »Ich werde Sie bestimmt nicht allein gehen lassen, Sir.«
Lan Meng lehnte die Einladung mit einem katzenhaften Lächeln ab, Harriet dagegen sagte zu. Zum einen schon deshalb, weil sie dabei sein wollte, wie Jessicas Mann und ihr Verehrer sich um ihre Aufmerksamkeit prügelten, und zum anderen, weil sie auf diesen O’Connor neugierig war. An einem Mann, dem es gelang, einen Charles Daugherty auszustechen, musste was dran sein.
Als sie dann um den großen Tisch in der Tageskajüte der Tuesday saßen und überraschend gut zubereitete Speisen serviert bekamen – Charles hatte von seinem Schiff eine Kiste vorzüglichen französischen Rotwein und Portwein als Gastgeschenk mitgebracht –, hatte Harriet auch ausreichend Gelegenheit, O’Connor zu betrachten. Er war auf eine sehr männliche Art gutaussehend und hatte durchaus etwas Anziehendes. Er trug eine Seeuniform, die ihm hervorragend stand, das Hemd war blütenweiß, das dunkle Haar glänzte, seine Fingernägel waren sauber. Er hatte auch ein einnehmendes, etwas legeres Benehmen, wie es den meisten Leuten aus den Staaten eigen war. Harriet, die die steifen Umgangsformen der englischen Gesellschaft nie gemocht hatte, fühlte sich durch seine lockere, aber höfliche Art durchaus angezogen. Seine Manieren waren gut, und auch wenn er diese bei Charles und Johnson nicht unbedingt zur Schau stellte, so war er Harriet gegenüber sogar liebenswürdig.
Ihr Blick glitt von ihm zu Charles. Machte O’Connor den Eindruck eines charmanten Rauhbeins mit ansprechenden Manieren, so war Charles Engländer durch und durch. Perfekt sitzende Jacke und Weste, das Haar ordentlich zurückgekämmt und mit einer Schleife zurückgebunden. Er musste tatsächlich mehrere davon besitzen, denn Harriet hatte ihm die andere niemals zurückgegeben. Zurückhaltend, gelassen, mit gepflegter Sprache, korrekter Haltung und ebensolchem Benehmen war er das Inbild eines englischen Gentlemans. So wie er hier saß und sich benahm, hätte er an der Tafel jedes Herzogs speisen können, und keiner hätte ihn in Verdacht gehabt, das berüchtigtste Piratenimperium der letzten zweihundert Jahre zu leiten. Seine Züge waren ebenfalls sehr männlich, ein bisschen kantig, sie schienen sich in den vergangenen Tagen noch verschärft zu haben, aber insgesamt waren sie weniger schroff als die von O’Connor. Er war auf eine Art gutaussehend, die jede Frau mit nur etwas Geschmack sich nach ihm umdrehen ließ.
Es war aber noch mehr, das auf ihn aufmerksam machte. Jede Bewegung, jede Geste, jedes Wort zeugte von dem Selbstbewusstsein und der Sicherheit eines Mannes, der eine ganze Flotte von Piraten- und Handelsschiffen befehligte, etliche Länder mit seinen Geschäften an der Nase herumführte und das ruhige Bewusstsein seiner Macht ausstrahlte. Etwas, das wohl jede Frau fesselte und das selbst Harriet, die sich gegen Zwang und Autorität sträubte, nicht gleichgültig ließ.
Aber das war es nicht, was sie wirklich so unwiderstehlich zu Charles hinzog. Es war vielmehr der Mann, der hinter dieser Fassade steckte. Jener Charles, der nur manchmal zum Vorschein kam, dessen Augen wie Bernstein leuchteten, wenn er sie anlächelte, und dessen Schmunzeln sie bis ins Herz erwärmte. Der für sie eintrat, auf sie aufpasste, sich ihretwegen selbst in Gefahr brachte. Derjenige, unter dessen zurückhaltendem Äußeren eine ungeahnte Wildheit und Leidenschaft schlummerte. Harriet erinnerte sich, wie er mit Sullivan gekämpft hatte, an den Hass, die Mordlust in seinen Augen. An den Zorn, der gelegentlich aufflackerte, wenn er ihn auch meist sofort hinter seine eiserne Beherrschung zurückdrängte. Sie dachte
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