Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
an einem Tau über die Reling und an Deck der Red Vanessa . Harriet wollte auf ihn zugehen, aber ihre chinesische Freundin warf sich förmlich dazwischen und schob sie von ihm weg. Er sah, wie Lan Meng auf sie einsprach und wie sie sich frei machte. Dann eilte sie auf ihn zu und ergriff seine ausgestreckte Hand. »Ich käme sehr gern an Bord Ihres Schiffes, sofern es Ihnen keine Umstände macht!«
»Niemals.« Charles’ Lächeln war seit langem nicht mehr so ehrlich ausgefallen.
* * *
»Seien Sie vorsichtig, Miss Dorley«, warnte Jenkins, als Harriet in ihre in Mitleidenschaft gezogene Kabine stürzte, um von Beth ihre Sachen packen zu lassen, während Charles an Deck auf sie wartete. Das Mädchen arbeitete nur widerwillig und war offenbar wenig begeistert von der Aussicht, dieses Schiff und ihren Liebsten zu verlassen. Lan Meng befand sich wie immer dicht hinter Harriet. Ihr Gesicht war düster, aber im Gegensatz zum Captain hielt sie ihren Mund, während sie ihre bescheidenen Habseligkeiten zu einem Bündel band. Sie kannte Harriet besser als Jenkins und wusste, wann man mit vernünftigen Argumenten nicht mehr weiterkam. Außerdem hatte sie das Leuchten in Harriets Augen gesehen, als Charles Daugherty aufgetaucht war.
»Diesen Leuten ist nicht zu trauen«, fuhr Jenkins eindringlich fort. »Captain O’Connor hatte einmal einen bösen Zusammenstoß mit Daugherty. Wobei böse noch untertrieben ist. Und dieser Harding ist ein Bastard, wie er im Buche steht. Er hat damals alles getan, um Jack zu töten. Und Daugherty hat versucht, Miss Jessica …«
»Das ist einige Jahre her, und ich habe nichts damit zu tun«, unterbrach ihn Harriet energisch. »Ich weiß über diese alte Geschichte Bescheid. Miss Jessica war, als diese unangenehmen Dinge passierten, sogar Gast im Hause meiner Eltern. Aber Mr.Daugherty und ich sind alte Bekannte, um nicht zu sagen Freunde. Und er ist ein Gentleman.«
»Der Mann ist ein fieser Pirat«, erwiderte Jenkins grollend. »Sein Vater war schon einer, und er ist vermutlich noch schlimmer.«
»Nun, Mr.Jenkins«, erwiderte Harriet kühl, »mir ist sehr wohl klar, dass Charles Daugherty, so wie viele andere, durchaus geachtete Gentlemen und Geschäftsleute, über Kaperbriefe verfügt und diese auch nutzt. Ich weiß auch, dass man Freibeuterei der Piraterie gleichsetzen könnte. Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass mein Vater sogar erwogen hat, Mr.Daugherty als Schwiegersohn in sein Haus aufzunehmen. Das wäre niemals der Fall gewesen, hegte er über den Ruf dieses Gentlemans auch nur den geringsten Zweifel. Aber«, fuhr sie versöhnlich fort, als sie sah, wie Jenkins schluckte und die Lippen zusammenpresste, »ich weiß Ihre Sorge sehr zu schätzen. Nur, sehen Sie doch selbst«, sie wies auf das klaffende Loch in der Bordwand. Die Fenster waren zersplittert, eine Kanonenkugel hatte die halbe Koje weggerissen und noch auf der gegenüberliegenden Seite ein Loch hinterlassen. »Hier kann ich längere Zeit nicht wohnen, wenn ich nicht am Morgen von einem Schwall Meerwasser geweckt werden möchte. Es ist für alle Beteiligten gewiss besser, wenn ich vorläufig mit Mr.Daugherty segle. Ich bin sicher, er wird die Red Vanessa vor weiteren Piratenangriffen schützen.«
Jenkins lachte nur auf, was wie eine Mischung aus Verzweiflung und Hohn klang, dann fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar, drehte um und verließ die Kajüte. Draußen wartete Lan Meng. »Keine Sorge«, sagte sie leise. »Ich schneide allen die Kehle durch, die meine Miss Harriet auch nur schief ansehen.«
»Eine wunderbare Idee«, ächzte Jenkins und stapfte an Deck. Da wartete an Bord der Sea Snake zweifellos eine Menge Arbeit auf die Kleine.
* * *
Stunden später saß Harriet Charles in der Großen Kajüte beim Dinner gegenüber. Der größte Teil der Waren der Red Vanessa war auf die Sea Snake umgeladen worden, die Schiffszimmerleute hatten die Lecks ausreichend abgedichtet, und beide Schiffe waren nun gemeinsam unterwegs zum nächsten Hafen, um die Red Vanessa einer gründlichen Reparatur zu unterziehen. Charles hatte sich den Schaden selbst angesehen, und als er Harriets Kajüte betreten hatte, war er nahe daran gewesen, Johnson mit den Ohren an den Großmast zu nageln. Der verdammte Halunke war lange genug Pirat, um zu wissen, wie man ein Schiff kaperte, ohne gleich die Kabinen der Passagiere in Trümmer zu schießen.
Hätte Harriet nicht so lebhaft und unverfänglich mit Charles geplaudert, wäre das Dinner
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