Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
Gesicht stand ihm zu deutlich vor Augen. Charles deutete auf einen Punkt auf der Seekarte. »Lassen Sie diesen Kurs setzen, Mortimer. Wenn der amerikanische Konvoi vor zwei Tagen in den Sturm geraten ist, könnten sie bis dorthin abgetrieben worden sein.«
Harding sah aus zusammengekniffenen Augen auf die Karte und überlegte. Er setzte zum Widerspruch an, schluckte diesen jedoch hinunter.
»Nun sagen Sie es schon, Mortimer, ehe Sie dran ersticken.«
Harding schnitt eine Grimasse. »Ich hätte eine andere Route gewählt. Es ist unwahrscheinlich, dass wir hier auf die Amerikaner treffen.«
Charles runzelte die Stirn, und Harding wusste, dass er seine Entscheidung nochmals überdachte. Das war eine seiner Schwächen und zugleich Stärken. James Daugherty hatte niemals an einem seiner Beschlüsse gezweifelt. Er hatte ihn gefasst und dann auf Biegen und Brechen durchgesetzt. Und wer mit heiler Haut davonkommen wollte, der hielt besser das Maul. Charles dagegen war Ratschlägen zugänglich. Was jedoch trotzdem nicht hieß, dass er sie auch annahm.
Harding konnte sich für das Thema Red Vanessa regelrecht erwärmen. »Sie hat Madras Richtung Mokka verlassen. Wenn sie dort nichts von der Ladung gelöscht hat, ist sie bis oben hin voll mit Zucker, Pfeffer und Reis. Und ich möchte schwören, dass sie in Mokka noch Weihrauch, Kaffee und Farbstoffe eingekauft haben. Vielleicht sogar Elfenbein.«
In seine letzten Worte klang leises Donnergrollen. Harding und Charles sahen gleichzeitig hoch, und kurz darauf war Charles auch schon an Deck und kletterte die Wanten hinauf. Der Mann im Ausguck war kaum erstaunt, ihn plötzlich neben sich auftauchen zu sehen. »Ein Gefecht, Sir. Steuerbord voraus.«
Charles machte es sich bequem und zog sein Fernrohr heraus. Automatisch suchten seine Füße Halt, sein Arm schlang sich wie von selbst um ein Tau, als er in luftiger Höhe balancierte. Das war nicht immer so selbstverständlich gewesen, als Kind hatte er die Angst vor der Höhe bei jedem Aufstieg von neuem bezwingen müssen. Aber wäre er nicht freiwillig geklettert, hätte sein Vater ihn mit dem Stock hinaufgejagt. James Daugherty war kein Mann gewesen, der auch nur die kleinste Schwäche bei seinem Sohn geduldet hätte. Charles konnte sich gut erinnern, dass Harding anfangs sehr oft mit ihm geklettert war, um ihm zu zeigen, wo er die Füße absetzen und sich festhalten sollte.
Von Deck tönte Hardings befehlende Stimme. Segel wurden gesetzt, der Kurs leicht verändert. Charles starrte durch das Glas. Außer Rauchwolken und Mastspitzen war nicht viel zu erkennen. Die Marssegel der Sea Snake entfalteten sich auf dem Vormast, und ein beachtlicher Ruck ging durch das Schiff, als die Segel den Wind aufnahmen und das Schiff beschleunigte. Er passte sich automatisch an und ließ keinen Blick von den beiden Schiffen, die sich einige Meilen vor ihnen gegenseitig mit Breitseiten bestückten. Insgeheim hoffte er grimmig darauf, endlich einen der Piraten in die Finger zu bekommen, die seine Schiffe angriffen.
Da! Eine amerikanische Flagge auf einem der Schiffe und eine rote auf dem anderen. Seine Augen begannen in grimmiger Freude zu funkeln. Wer immer der Amerikaner war, über die Identität des anderen konnte kein Zweifel bestehen. Es war eines ihrer eigenen Schiffe. Die rote Flagge war ihr Erkennungszeichen. Charles juckte es förmlich in den Fingern mitzumischen, aber damit wäre die Identität der Sea Snake verraten worden, und er hätte keinen der Leute auf dem Amerikaner lebend davonkommen lassen dürfen.
»Rote Flagge, Captain!«, brüllte er zu Harding hinunter.
Charles konnte zwischen den Gefechtspausen, wenn sich die Rauchwolken in dem frischen Wind etwas verzogen hatten, die Schiffe deutlicher ausmachen. Der amerikanische Captain versuchte trotz der zerfetzten Segel zu entkommen und schoss dabei auf den Verfolger. Er traf nicht schlecht. Seine Männer verstanden etwas von ihrem Handwerk.
Sie hatten sich in der Zwischenzeit auf wenige Meilen genähert, und Charles gab seinen Beobachtungsposten auf.
»Es ist die El Capitano «, sagte Harding erfreut, als Charles wieder neben ihm an Deck stand. »Sie haben hier ein hübsches Stück Prise gestellt. Das hätte ich so weit vom Kurs nicht erwartet. Sie müssen sie verfolgt haben.«
Charles nickte zufrieden, und Harding wandte sich an Bains, seinen Ersten Offizier. »Beidrehen.« Segel wurden wieder eingeholt, das Schiff verlor an Fahrt und änderte den Kurs. Sie würden sich
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