Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
ihrem Gesicht zu, das durch das Fernrohr so nah erschien, als könne er es berühren.
Ihre gebogene Nase war schmal und zart wie ihr Körper, das Kinn energisch und doch sanft gerundet, die Wimpern hell und kaum sichtbar, aber so lang und dicht, dass sie tatsächlich kleine Schatten auf Harriets Wangen warfen. Dergleichen hatte er schon oft in Liebesgedichten gefunden, speziell in indischen, aber vor Harriet noch nie in der Realität gesehen.
Sein Blick glitt weiter. Harriets ganzes Wesen war ein einziges Konglomerat von Gegensätzlichkeiten, das sich zu einem reizvollen Ganzen zusammensetzte, von dem er kaum genug bekam. Ihr Charakter, liebenswürdig und manchmal widerborstig. Klug und zugleich unendlich naiv. Hart und weich. So wie ihr Körper. Schlank wie der eines Jungen, aber so anmutig weiblich in jeder Bewegung, dass jeder an Bord stehen blieb, um ihr nachzusehen, wenn sie in ihren flachen Lederschuhen über das Deck lief, als hätte sie ihr Lebtag lang nichts anderes getan.
Ihr Lächeln war atemberaubend. Er konnte sich kaum daran sattsehen, bis sie die Hand hob und ihm zuwinkte. Charles riss ertappt das Fernrohr nach unten. Jetzt wusste sie vermutlich, dass er sie die ganze Zeit über angegafft hatte. Er benahm sich wirklich wie ein Idiot. Harriet winkte abermals, woraufhin Charles den Gruß erwiderte, das Fernrohr zusammenschob, es in die Jackentasche steckte und sich so ungeduldig an den Abstieg machte, dass er zweimal beinahe danebengriff.
Harriet richtete sich ein wenig auf, als sie sah, wie Charles endlich herunterkam. Ihr war die Zeit, die er da oben verbracht hatte, endlos erschienen. Ihr Herz klopfte aufgeregt, als sie sah, wie wendig und geschmeidig er sich bewegte. Seine Armmuskeln traten selbst unter dem losen Hemd beeindruckend hervor, und seine Oberschenkel zeichneten sich deutlich unter der Hose ab. Für lange Momente war Harriet mit der Vorstellung beschäftigt, wie es sein musste, auf seinen Knien zu sitzen und seine Muskeln unter ihrer Kehrseite zu fühlen. Sich dabei an ihn zu lehnen oder seinen Kopf festzuhalten, ihn zu küssen und mit beiden Händen hemmungslos in seinem Haar zu wühlen. Harriet seufzte sehnsüchtig und verfolgte mit Interesse die Linie seiner Schenkel, die sehnigen Beine, ließ den Blick hinaufwandern, bis … Sie wurde rot und wandte den Kopf, nur um gleich darauf noch stärker errötend wieder hinzusehen. Er trug zwar keine wie eine zweite Haut anliegenden Kniehosen, aber die lockere Nanking Hose, wie sie fast alle an Bord bevorzugten und die er nur am Abend gegen einen formellen Anzug tauschte, wenn er mit ihr bei Tisch saß, gewährte ihr schon genügend Einblick auf das, was in nicht allzulanger Zeit ihr gehören würde.
Sie fächelte sich Luft zu und zog sich den breitkrempigen Hut ein wenig tiefer ins Gesicht, damit niemand sah, wie heiß ihre Wangen geworden waren.
Charles ließ sich das letzte Stück fallen und kam federnd an Deck auf. Harriet streckte ihm die Hand entgegen; er ergriff sie und drückte einen Kuss darauf. Ein angenehmer kleiner Schauder ging bei dieser Berührung durch Harriets Körper.
»Wir werden bald ankommen. In wenigen Stunden kann man unser Ziel schon mit bloßem Auge erkennen. Und hier«, er nahm sein Fernrohr aus der Tasche, zog es auseinander und reichte es ihr, »damit können Sie Kuba jetzt schon betrachten.«
Harriet erhob sich. Charles stellte sich schräg hinter sie, seine Hand lag auf ihrem Rücken, und er stützte sie leicht, als sie mit dem Schiff schwankte. Sie blinzelte krampfhaft durch das Glas, sah jedoch kaum etwas. Kein Wunder, Charles’ Atem auf ihrem Nacken ließ alles vor ihren Augen verschwimmen. Sie konzentrierte sich. Aha. Dort war ein dunkler Streifen am Horizont. Und hier war Charles. Er roch ein bisschen stärker nach Schweiß als sonst. Sie musste bei Gelegenheit darüber nachdenken, weshalb sie den Geruch an Charles mochte, an anderen Menschen jedoch abstoßend fand.
Sie lehnte sich noch ein wenig näher, bis sie den Horizont völlig aus den Augen verlor und das Fernrohr auf irgendeine Stelle auf dem Vorsegel fokussierte. Sie schielte mit dem offenen Auge ein bisschen zurück. Seine rechte Schulter war nur eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt. Wie gern hätte sie sich jetzt zurückgelehnt und durch das Hemd hindurch seine Wärme gefühlt. Aber das war natürlich unmöglich. Ganz abgesehen davon, dass er wahrscheinlich pikiert über diese Freiheit gewesen wäre, so sagte ihr ein dunkles Gefühl,
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