Die Sehnsucht des Piraten: Er ist der Schrecken der Meere - doch gegen sie ist er machtlos (German Edition)
erklärte er.
»Das spielt keine Rolle.«
Er seufzte, nahm sorgfältig die Bügel von den Ohren, setzte die Brille ab und schob sie sofort in eine Tasche, als fürchtete er, dass sie sie ihm wegnehmen und über Bord werfen könnte.
Der Mond stand hoch am Himmel und spendete ein silbriges Licht. Seine Augen waren von einem sternenhellen Grau, ähnelten Christophers und blickten ebenso eindringlich.
Sie standen sich knapp einen halben Meter gegenüber, und Manda stellte fest, dass sie fast genauso groß war wie er.
Deshalb musste sie sich nur ein bisschen auf die Zehenspitzen stellen, um ihn küssen zu können.
Einen Moment lang tat er gar nichts. Sein Körper versteifte sich, und seine Lippen blieben unbewegt. Manda erwartete, dass er sich von ihr losreißen, einen angewiderten Laut ausstoßen und davonstürmen würde.
Stattdessen schlang er plötzlich seine kräftigen Hände um ihre Schultern und zog sie an sich. Dann teilte er mit der Zunge ihre Lippen und küsste sie mit einer Leidenschaft, die sie noch nie zuvor in ihrem Leben gefühlt hatte.
*
Honoria beobachtete diesen Kuss von ihrem Standort an Deck aus, tief im Schatten. Der arme Mr. Henderson. Er und Honoria waren der Familie Raine ganz schön verfallen.
Ein versteckter Schatz, also wirklich. Das klang wie die Geschichten über Christopher in den Heftchen, die Honoria vor so langer Zeit gelesen hatte, die Geschichten, wegen denen sie sich überhaupt in ihn verliebt hatte.
Mit achtzehn war sie eine alberne Närrin gewesen, und ihr wurde klar, dass sie genau das immer noch war. Warum sonst wäre sie so fröhlich mit Christopher davongesegelt? Er hatte sie mit seinem anzüglichen Lächeln und seinen liebevollen Zärtlichkeiten verführt, und sie war ihm bedenkenlos gefolgt und hatte dabei auch noch zufällig das Stück Papier mitgebracht, das ihm sagte, wo genau er seinen Schatz gelassen hatte.
Und jetzt wickelte Christophers Schwester Mr. Henderson um den Finger. Es war einfach unfair.
Manda und Henderson ließen voneinander ab und starrten sich an, ohne sich zu rühren. Nach einem Moment gespannten Schweigens sagte Mr. Henderson leise ein paar Worte. Honoria konnte Mandas Antwort ebenfalls nicht verstehen, aber sie klang ein wenig spöttisch. Mr. Henderson reagierte wütend, kehrte ihr den Rücken zu und schritt steifbeinig davon.
Manda sah ihm nach. Ihr langes Haar wehte im Wind, und sie stand hoch aufgerichtet da.
Als sie sich herumdrehte, fiel ihr Blick auf Honoria, die nach wie vor im Schatten stand. Manda sah Honoria einen Moment an und wusste, dass diese alles gesehen hatte. Dann drehte sie sich um und schlenderte zum Heck. Vollkommen unbekümmert. Genau wie ihr Bruder.
Der Wind frischte auf und riss an Honorias Kleid und Haaren. Sie wusste, dass sie nicht länger hier herumstehen und zittern sollte, aber sie war noch nicht bereit, in die Kajüte zu gehen, die sie mit Christopher teilte.
Wenn sie ihn dort allein vorfand, würde er sie wieder verführen, anfangen, sie zu »überzeugen«, dass ihre Heirat eine gute Idee gewesen war.
Und sobald er sie küsste, würde sie ihren Zorn vergessen und den Schmerz, der sich in ihrem Herzen breitmachte, und zulassen, dass er sie ablenkte.
Sie traf eine Entscheidung und ging erneut unter Deck, jedoch nicht zur Kapitänskajüte, sondern in die Kombüse, die vor dem Hauptmast lag, achtern von der Back, halb unter Deck, und über eine kurze Leiter zu erreichen war. Der warme Duft von Suppe und Kornbrot schlug ihr beim Eintreten entgegen. Mrs. Colby hatte die Rolle der Hilfsköchin übernommen und war dabei, das Abendbrot für die Seeleute zu richten, die von der Wache kamen.
Die Kombüse war eng und vollgestopft. Den größten Raum beanspruchte ein Tisch, an dem alle Speisen zubereitet wurden. In dem Ziegelofen an der gegenüberliegenden Wand loderte ein Feuer. Ein schwarzer Kessel mit Suppe hing an einem Haken über dem Feuer und brodelte fröhlich vor sich hin. Der dunkelhaarige Koch, der davorsaß, warf ab und zu Gemüse oder ein Stück Schweinefleisch hinein.
Honoria blieb direkt neben der Tür stehen und rieb sich die Arme. Es war stickig in dem kleinen Raum, aber die Wärme tat ihren kalten Gliedmaßen gut. Mrs. Colby, die gerade geschickt Kartoffeln schälte, blickte auf. »Ihr solltet im Bett liegen, Liebes. Auf dem Meer wird es früh hell.«
»Ich bin noch nicht müde«, antwortete Honoria. Im selben Augenblick wurde ihr klar, dass sie log. Ihre Arme schmerzten noch von der
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