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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters
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ging ihr entgegen und umarmte sie zärtlich.
    „Hallo, mein Schatz, fährst du nicht zur Arbeit?“
„Hab angerufen. Mir ist heute nicht danach.“ Sie ließ sich auf der Schreibtischkante nieder. „Sag mal, wusstest du, dass er schwul ist?“
„Klar, jetzt mach kein Drama daraus.“
„Mach ich ja nicht, aber muss er seine Liebhaber mit in unsere Wohnung bringen? Das war ja ein Riese! Bei diesem Kerl kam ich mir nicht mehr wie eine Fee vor, sondern eher wie der kleine Däumeling.“ Dabei machte sie ein so komisch verzweifeltes Gesicht, dass ich laut los lachte.
„Das war nicht komisch ...“, sagte sie und zog eine Schnute, doch dann prustete sie los. „Naja zuerst jedenfalls nicht ...“ Wir bogen uns vor Lachen. „Wie dieser Kerl meine Küche gefüllt hat ...“, keuchte sie. „Er sah aus, als säße er in einem Puppenhaus.“
Als wir uns wieder eingekriegt hatten, wurde sie ernst. „Ray, ich hab mich ganz schön erschreckt, als er da so plötzlich vor mir stand. Bisher hat James doch noch nie jemanden mitgebracht. Im ersten Moment dachte ich, er wäre bei uns eingebrochen.“
„Du hast Recht. Ich habe sie zwar nachts kommen hören, war also vorgewarnt. Aber als er dann vor mir aus der Dusche kam ...“
Ich hob ihr Kinn, um zu sehen, was sie dachte. „Ich werde mit ihm reden, gleich nachher. Das war wirklich ein starkes Stück. Aber James hätte dich schon beschützt. Ich glaube er treibt so etwas wie Karate, Judo oder so, irgendeine Kampfsportart, bei der man ihm nicht ansieht, wie wehrhaft er ist, er hat da letztens so etwas gesagt von wegen Schnelligkeit und Kraft.“
Ein wenig gedankenverloren spielte ich mit dem goldenen Kettchen an ihrem Handgelenk, das ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.
„Wehrhaft? Letztens hat er aber doch ganz schön eine auf die Zwölf gekriegt, wenn ich das mal so sagen darf.“
Ich brummte nur verlegen und schaute weg. Verdammt, jetzt hatte doch tatsächlich ich selbst ihr die Munition geliefert, mit der sie mich nun eiskalt erschießen würde.
„Sag mal, warst du das etwa? Du warst das! “
Treffer versenkt.
Blankes Entsetzten stand in ihrem Blick. „Wie konntest du nur, Ray!“
Sie machte sich von mir los und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Augen blitzten vor plötzlicher Angriffslust.
„Ich hab mich bei ihm entschuldigt. Ich bin ja selbst entsetzt, wie viel Jähzorn da plötzlich wieder in mir hochgekocht ist.“
„Da gibt es keine Entschuldigung, Ray. Er ist kleiner und schwächer als du.“, sagte sie kategorisch. „Du bist kein Kind mehr, solltest dich besser im Griff haben. Du hättest ihn ernsthaft verletzen können.“
„Ich weiß, ich weiß, ich hab mir schon genug Vorwürfe gemacht. Deshalb hab ich ja letztens mit dir gesprochen.“
„Du sprachst von Wut und Hass, vielleicht habe ich auch nicht alles so genau mitbekommen, war schon so müde ... aber so etwas hätte ich dir nie zugetraut. Das sieht dir gar nicht ähnlich.“
„Tut mir Leid Lisa, ich werde versuchen, die Sache endgültig mit ihm zu klären, das verspreche ich dir.“
* * *
    Wenn mir die ganze Situation jetzt schon aus den Händen glitt ... dachte ich später, als ich in der Mittagspause eine Runde in der Sauna einlegte und mich auf einer der Bretterstufen rekelte ... wie würde es dann erst sein, wenn ich ihn in den Bergen Tag und Nacht am Hals hatte, ohne Lisas Unterstützung und Ablenkung? Sie konnte jede Situation entschärfen, jede Unterhaltung auflockern. Auf der Wanderung jedoch wäre ich völlig auf mich allein gestellt.
    Über was sollte ich mich mit ihm bloß den ganzen Tag unterhalten? Mit Lisa war das kein Problem. Sie plapperte, und ich liebte es, sie dabei zu beobachten. Lisa war sozusagen mein tägliches Unterhaltungsprogramm. Dabei hatten wir auch viel gemeinsam. Redeten über unsere täglichen kleinen Erlebnisse im Hotel und in der Boutique, über Länder, in die wir eines Tages reisen würden, über Filme, die wir gemeinsam sahen, und sogar hin und wieder über Mode.
    All das würde mir fehlen. Plötzlich kam es mir vor, als wäre ich ohne sie verloren. Ich stöhnte. Aber es war wohl unvermeidlich, ab morgen würde ich wie in meinem Traum verlassen und einsam durch eine Wüste voller Probleme waten, dachte ich theatralisch und voller Selbstmitleid.
    Es war kaum jemand in der Sauna so kurz vor Mittag. Ich konnte mich in aller Ruhe lang ausstrecken, spürte, wie ich mich nach und nach entspannte.
    Etwas weiter hinten saßen zwei junge Frauen eng nebeneinander.

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