Die Seidenbaronin (German Edition)
solche Sinnlichkeit in diesem überlegten und bisweilen so unnahbaren Mann vermutet. Er offenbarte ihr eine ungezügelte Leidenschaft, und Paulina ließ sich von ihrem Strom mitreißen. Sie, die nur die arrogante Kunstfertigkeit eines übersättigten Zynikers kannte, erfuhr, wie es war, von Herzen geliebt zu werden.
«Wenn man uns doch nie getrennt hätte!», flüsterte sie. «Es wäre so schön gewesen, deine Frau zu werden!»
Sie lag an seiner Brust und dachte, dass sie keinen anderen Mann jemals so lieben würde wie ihn.
«Du wirst auf mich warten, nicht wahr?», sagte er. «Ich kann dir nicht sagen, wann ich wiederkomme, aber du wirst diesmal auf mich warten …»
Sie musste dann doch vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Als sie aufwachte, war der Platz neben ihr leer. Alles um sie herum war still. Der Sturm hatte nachgelassen, und durch die Ritzen der Fensterläden drang das erste Tageslicht.
Nach einer Weile wurde ihr klar, dass er fort war. Um diese eine Nacht am Strand beim Heiligen Damm mit ihr verbringen zu können, hatte er bereits vor Morgengrauen aufbrechen müssen.
Lange saß sie so da, stumm vor sich hin starrend, unfähig, sich zu bewegen. Irgendwann klopfte es an der Tür.
«Gnädige Frau!», ertönte die Stimme der Fischerin. «Ihr Kutscher ist unten und fragt, wann Sie abreisen wollen.»
Paulina zuckte zusammen. «Sagen Sie ihm, dass ich gleich komme.»
Mit einem tiefen Seufzer stand sie auf und ging zu dem kleinen Fenster der Kammer. Sie öffnete die Läden und sah eine weite, graue Wasserfläche vor sich, die bis zum Horizont reichte: das Meer. Dort irgendwo fuhr Christian jetzt davon, um erneut in den Krieg zu ziehen.
Als Paulina in die Fischerstube kam, wartete Franz auf sie. Er hielt ihr die ausgestreckte Hand entgegen. Ihr Blick fiel auf einen leuchtenden Gegenstand, der auf seiner Handfläche lag. Es war ein kleiner Stein, der die gleiche goldbraune Farbe hatte wie Christians Augen.
«Den soll ich Ihnen von dem gnädigen Herrn geben», sagte Franz. «Es ist ein Bernstein.»
Paulina merkte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Vorsichtig nahm sie den Stein in die Hand und presste ihn an die Brust.
«Damit Sie sich immer an ihn erinnern», fügte Franz leise hinzu.
Kapitel 31
Blommersforst, Dezember 1794
«Sieh an! Meine süße kleine Gemahlin», begrüßte Pierre sie, als Paulina den Salon betrat. Er hatte sich gerade eine Flasche Wein bringen lassen und war dabei, ein Glas einzuschenken. Während er einen Schluck trank, musterte er sie bewundernd.
«Hübsch, hübsch. Ich muss sagen, das eintönige Dasein in der Provinz bekommt Ihnen gut! Sie sehen bezaubernd aus.»
«Was man von Ihnen nicht gerade behaupten kann», stellte Paulina kühl fest.
Das ausschweifende Leben der letzten Monate war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er war vom reichlich genossenen Essen und Wein ein wenig fülliger geworden. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe.
Er wird früh altern, wenn er es weiter so treibt, dachte Paulina. Nichtsdestotrotz sah er nach wie vor verteufelt gut aus.
Mit der Selbstsicherheit seiner zweifellos in Berlin errungenen Erfolge streckte er verlangend den Arm nach Paulina aus.
«Komm her, mein niedliches kleines Provinzpflänzchen! Ich erinnere mich dunkel, dass du dich vorzüglich auf gewisse Fertigkeiten verstehst.»
Paulina wandte sich verächtlich ab. Was bildete er sich ein? Dass sie sich ihm voller Sehnsucht in die Arme werfen würde? Die Zeiten, in denen sie in seiner Gegenwart noch ein gewisses Begehren empfunden hatte, waren lange vorbei.
«Warum kommen Sie erst jetzt nach Blommersforst?», fragte sie. «Ich bin bereits seit zwei Wochen hier, und der Weg von Berlin hierher dürfte nicht weiter sein als von Boltenhusen.»
«Offenbar bin ich in Berlin weniger abkömmlich, als Sie es in Mecklenburg sind», antwortete Pierre selbstgefällig und keineswegs gekränkt durch ihre offenkundige Zurückweisung.
«Sie wissen, dass das gesamte Gebiet links des Rheins von den Franzosen besetzt wurde?»
«Man lebt in Berlin nicht hinter dem Mond, meine Liebe!»
«Die Franzosen sind bereits seit Anfang Oktober in Crefeld, und dieses Mal sind sie geblieben. Ihr Vater und Kronwyler haben, nachdem wochenlang der Postverkehr über den Rhein unterbrochen war, im November endlich einen Brief von Kronwylers Bruder bekommen.»
Paulina zog das Schreiben hervor und las ihrem Gatten daraus vor. «Der Stadt wurden erneut hohe Kriegslieferungen auferlegt. Gleich nach
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