Die Seidenbaronin (German Edition)
bleiben. Ich habe versprochen, über die Angelegenheit Stillschweigen zu bewahren. Nein, ich werde bei den von der Leyens bleiben. Was auch immer Sie vorhaben – Sie müssen sich einen anderen Fabrikmeister suchen.»
«Geht es Ihnen bei von der Leyens so viel besser?»
«Einmal abgesehen davon, dass ich mit Herrn von Ostry nicht gerade im Guten auseinandergegangen bin …», er breitete seine Arme aus, «… was glauben Sie, wem ich das alles zu verdanken habe? Die Geschäfte laufen bei den von der Leyens zwar seit dem Einmarsch der Franzosen denkbar schlecht, aber ich konnte mir immerhin eine bescheidene Existenz aufbauen. Außerdem ist mein Name mittlerweile im Kreis der Seidenfabrikanten so gefestigt, dass ich mir meine Wirkungsstätte aussuchen kann.»
«Ist das Ihr letztes Wort?»
«Ja, das ist mein letztes Wort, gnädige Frau. Es hat nichts mit Ihnen zu tun, glauben Sie mir.»
Paulina zuckte mit den Achseln. «Es ist sehr schade, aber Sie sind mir schließlich nichts schuldig, Thomas.»
«Darf ich mir eine indiskrete Frage erlauben? Fehlte Herrn Kronwyler und Ihrem Gatten der Mut, mich zu fragen?»
«Kronwyler? Der hat überhaupt nichts damit zu tun. Das Unternehmen Kronwyler Sohn und von Ostry gibt es nicht mehr. Kronwyler arbeitet in Zukunft mit seinem Bruder zusammen.»
Thomas zog sich einen Stuhl heran, fegte einen darauf liegenden Hut hinunter und setzte sich. «Moment mal! Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Ihr Gatte … ich meine, glauben Sie, dass Ihr Gatte …»
«… in der Lage ist, das Unternehmen zu führen?», vollendete Paulina den Satz. «Nein, er ist es nicht. Ich werde es führen.»
Verblüfft lehnte Thomas sich zurück. Statt des erwarteten Protests sagte er nachdenklich: «Sie sollen Ihre Sache vor zwei Jahren sehr gut gemacht haben. Der damalige Fabrikmeister meinte sogar, dass es besser wäre, wenn Sie dem alten von Ostry nachfolgen würden anstelle seiner Söhne. Und Sie trauen sich das wirklich alleine zu?»
«Von alleine kann keine Rede sein», antwortete Paulina. «Ich habe unserem Buchhalter Homberg geschrieben, dass er schnellstmöglich nach Crefeld kommen soll. Weber und Arbeiter, die eine Anstellung suchen, gibt es in dieser Stadt genug. Jetzt fehlen nur noch Sie.»
«Die Produktion der von der Leyens ist seit der Besetzung der Franzosen praktisch zum Stillstand gekommen. Warum sollte Ihr Betrieb besser laufen?»
«Nun, ich habe vielleicht eine Möglichkeit gefunden, die Produktion wiederaufzunehmen.»
«Sie machen mich neugierig, gnädige Frau.»
«Leider arbeiten Sie für die Konkurrenz. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich Ihnen unter diesen Umständen keine Auskunft darüber geben werde.»
Thomas wehrte ab. «Natürlich. Sie wissen, dass ich das Abenteuer liebe, gnädige Frau, und das, was Sie vorhaben, wäre eines. Allerdings bin ich nicht mehr so risikofreudig wie noch vor einigen Jahren. Ich habe hart dafür gearbeitet, um mich aus den Fängen der Armut zu befreien. Seien Sie mir also nicht böse, dass ich mein sicheres Auskommen bei den von der Leyens vorziehe.»
Paulina nickte. Im Grunde konnte sie ihn verstehen. Wer wollte es ihm verdenken, dass er nicht alles, was er erreicht hatte, für ein ungewisses Vorhaben aufs Spiel setzte? Und sie selbst? War sie nicht fast ein wenig erschrocken über ihren Wagemut? Vielleicht sollte sie wirklich besser Kronwylers Rat beherzigen, sich nach Boltenhusen zurückziehen und sich um ihre Kinder und ihre Güter kümmern. Ein wenig gebremst in ihrer Euphorie, machte Paulina sich auf den Heimweg.
«Warum schafft Pierre es nicht ein einziges Mal, pünktlich zum Mittagessen zu erscheinen?», fragte Frau von Ostry ärgerlich.
Die Damen von Ostry saßen wie verloren an der langen Banketttafel und löffelten eine kümmerliche Mahlzeit, die Paulina an die Zeiten im Haus ihres Großvaters erinnerte. Frau von Ostry nahm nach ihrer Krankheit zum ersten Mal wieder am gemeinsamen Essen teil. Ihre ohnehin schmale Erscheinung war so knochig geworden, dass Paulina einen Augenblick lang meinte, die Darmstädter Hausdame Frau von Herben säße ihr gegenüber.
Frau von Ostry stocherte missmutig auf ihrem Teller herum. «Gibt es denn gar nichts Anständiges mehr zu essen in Crefeld? Mein seliger Gatte hätte das sofort zurückgehen lassen.»
Die drei jungen Frauen tauschten entnervte Blicke. Selbst Sybilla mochte diese Verklärung der Zustände unter Conrad von Ostry nicht mehr hören. In die angespannte Stimmung
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