Die Seidenbaronin (German Edition)
ständig in der Altstadt beim Anwerben von Webern und Arbeitern gesehen, Sie lassen Briefe in Richtung Frankreich befördern, Sie haben Korrespondenten in Dienst genommen. Wollten Sie Crefeld nicht schon längst wieder verlassen haben?»
«Ich sehe, dass in dieser Stadt nichts geschieht, ohne dass Sie davon Kenntnis erlangen», erwiderte Paulina kühl. «Nun, ich habe es mir anders überlegt. Man muss eine Gelegenheit ergreifen, die sich bietet, und genau das habe ich vor.»
«Darin scheint Ihre Familie wahrlich ein beachtliches Talent zu besitzen. Im Falle Ihres Gatten habe ich mich seiner Kooperation versichert, sonst wäre er niemals auf seinen Posten erhoben worden. Ich würde jedoch auch gerne Ihre Absichten kennen, Bürgerin Ostry!»
«Meine Interessen sind rein geschäftlicher Natur, Monsieur Longeaux. Sie müssten demnach auch in Ihrem Sinne sein. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, wie wichtig es ist, dass die Seidenfabrikation in dieser Stadt schnellstmöglich wieder in Gang kommt. Sie werden die Bürger von Crefeld nicht ewig mit Abgaben belegen können, für die Sie ihnen im Gegenzug nur wertloses Papiergeld überlassen. Die Versorgung Ihrer Truppen ist entscheidend davon abhängig, wie viel wir Crefelder dazu beitragen können. Sie sollten also alles dafür tun, damit Ihre Quelle wieder sprudelt.»
Longeaux legte nachdenklich seinen Finger auf den Mund.
«General Lefebvre mag ein hervorragender Kriegsführer sein», fuhr Paulina fort. «Aber für kaufmännische Dinge zeigt er wenig Verständnis. Er macht sich nur Gedanken darüber, dass seine Truppen ausreichend beliefert werden. Was geschieht, wenn kein Nachschub mehr kommt, weil nichts mehr da ist? Das Wohlergehen dieser Stadt stützt sich allein auf die Seidenindustrie. Sie müssen den Fabrikanten die Möglichkeit geben, ihre Manufakturen weiterzuführen.»
Um Longeaux’ Mund hatte sich ein ärgerlicher Zug gebildet.
«Ehrlich gestanden, gefällt es mir nicht, dass ein Weib so mit mir spricht. Aber ich muss zugeben, dass Ihre Argumentation mir einleuchtet. Heinrich Friedrich von der Leyen hat mir bereits etwas Ähnliches gesagt. Ich denke, es ist ratsam, wenn wir ein gewisses Maß an Einvernehmen erzielen.» Er hob warnend seinen Zeigefinger. «Betrachten Sie meine Nachgiebigkeit nicht als Ablass, Bürgerin Ostry! Ich werde Sie genau im Auge behalten.»
Paulina schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln und setzte eilig ihren Weg fort. Die kleinen Kämpfe mit Longeaux bereiteten ihr mittlerweile geradezu Vergnügen, während der Besuch, den sie nun vor sich hatte, ihr seit Tagen schwer im Magen lag. Als sie erneut den Türklopfer des Weberhauses in der vierten Stadterweiterung betätigte, hatte sie den Eindruck, dass ihr Herz fast noch lauter pochte.
Diesmal öffnete Thomas ihr selbst. Sein Gesicht strahlte nicht mehr die leichte Überheblichkeit des Emporkömmlings aus, sondern war von tiefen Sorgenfalten gezeichnet. Der junge Mann trug einen schmuddeligen Rock, den er seit Tagen nicht gewechselt zu haben schien.
«Oh, die Gemahlin unseres neuen Gemeindebeamten», begrüßte er die Besucherin ein wenig spöttisch und führte sie in seine Stube, die noch unordentlicher war als beim letzten Mal.
«Ich bin hier, um mein Angebot von neulich zu wiederholen», kam Paulina geradewegs zur Sache.
Thomas musterte sie misstrauisch. «Was verleitet Sie zu der Annahme, dass ich diesmal darauf eingehen könnte?»
«Ich will Sie haben, Herr Cornelius. In Kürze wird eine Lieferung Rohseide, die verarbeitet werden muss, in Crefeld eintreffen. Ich habe genügend Weber und Arbeiter einstellen können und bin sehr zuversichtlich bezüglich des Absatzes der Produkte. Mir fehlt allein ein Fabrikmeister.»
«Wie ich Ihnen bereits sagte, Madame, möchte ich bei den von der Leyens bleiben.»
«Und das, obwohl die Produktion bei den von der Leyens völlig stillsteht?»
An der Art, wie Thomas’ Miene sich verfinsterte, merkte Paulina sofort, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Von der Leyens, die immer versucht hatten, ihre Arbeiter trotz der Produktionsflaute weiter zu entlohnen, waren offenbar nicht mehr in der Lage, weitere Zahlungen zu leisten.
«Der Lohn bei von Ostry wird nicht schlecht sein», setzte Paulina listig nach.
In Thomas’ Gesicht machte der wechselnde Ausdruck von Ablehnung, Verzweiflung und Hoffnung das ganze Dilemma des jungen Mannes deutlich. «Sie wissen, Madame, dass es nicht gerne gesehen wird, wenn man von einem Arbeitgeber,
Weitere Kostenlose Bücher