Die Seidenbaronin (German Edition)
hinein kam Pierre doch noch zur Tür herein. Hinter ihm tauchte die massige Gestalt Toscanis auf.
«Seien Sie gegrüßt, meine Damen», rief Pierre in bester Laune. «Ich will Sie gar nicht lange bei Ihrer Mahlzeit stören.» Er wandte sich an Paulina. «Hätten Sie die Freundlichkeit, nach dem Essen zu uns ins Kaminzimmer zu kommen, meine Liebe? Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.»
«Wollen Sie beide denn gar nichts essen?», fragte Frau von Ostry mit Leidensmiene. «Ich hatte gehofft, dass Sie uns ein wenig Gesellschaft leisten.»
Pierres Blick ging kurz auf ihren Teller. Er konnte einen Ausdruck des Widerwillens nicht verhehlen. «Herr Toscani und ich haben schon gespeist. Wir werden uns zum Digestif im Kaminzimmer ein kleines Gläschen genehmigen. Eine herrliche Angewohnheit, die uns die Franzosen da mitgebracht haben!»
Er war schon wieder im Gehen begriffen, als er sich noch einmal umdrehte und sagte: «Was denken Sie, wen ich heute getroffen habe? Erinnern Sie sich an diesen Burschen, den Kronwyler seinerzeit aus Hannover mitgebracht hat? Thomas Cornelius hieß er, wenn ich mich recht entsinne. Der Junge hat sich zu einem der besten Fabrikmeister Crefelds gemausert. Von der Leyens haben nicht gezögert, ihn in ihre Dienste zu nehmen. Warum ist er eigentlich nicht bei uns geblieben?»
Paulina hätte ihm am liebsten eine flapsige Bemerkung hinterhergeschickt, doch die betroffenen, fast entsetzten Gesichter der drei Damen hielten sie davon ab. Ging es ihnen so zu Herzen, dass Pierre ihnen seine Gesellschaft verweigerte?
«Tja, wer hätte das gedacht, dass aus diesem Lausejungen einmal ein solch guter Fabrikmeister wird», versuchte sie, die Stimmung ein wenig aufzuheitern. «Cornelius nennt er sich jetzt also. Ich kannte ihn immer nur als Thomas. Wissen Sie, ich bin gleichsam eng mit seinen Anfängen in Crefeld verbunden, denn ich bin damals mit derselben Kutsche hergekommen.»
Frau von Ostry ließ geräuschvoll die Gabel fallen. Ihre Hände zitterten, als sie nach ihrem Glas griff und gierig einen Schluck Wasser trank. Betretenes Schweigen folgte.
Sybilla senkte den Kopf und setzte hastig ihre durch Pierres Ankunft unterbrochene Mahlzeit fort. Catherine war plötzlich leichenblass geworden und warf Paulina einen flehentlichen Blick zu.
Was war denn auf einmal los? War Frau von Ostry nach ihrer Krankheit so empfindsam geworden, dass man jegliche Aufregung von ihr fernhalten musste?
So kann es nicht weitergehen, dachte Paulina und beschloss, ein ernstes Wort mit ihrem Gatten zu reden. Sofort nach dem in quälender Stille zu Ende gebrachten Essen entschuldigte sie sich und flüchtete aus der bedrückenden Atmosphäre des Speiseraums.
Im Kaminzimmer waren Pierre und Toscani in äußerst heiterer Stimmung.
«Gnädige Frau!», rief Toscani ein wenig affektiert. «Welch Glanz bringen Sie in dieses bescheidene Zimmer!»
Er scheint manchmal zu vergessen, dass er nicht mehr auf der Bühne steht, dachte Paulina.
Sie zeigte mit dem Kinn auf Toscani. «Wird dieser Herr in Zukunft immer bei unseren Gesprächen dabei sein?»
«Aber nein, Madame», sagte Pierre. «Wir sitzen aus geschäftlichen Gründen zusammen, da wir uns mit einer Petition des guten Kronwyler befassen müssen. Er hat einen Antrag gestellt, dass man ihm die Färberei zurückgibt.»
«Unsere Färberei?»
«… die Kronwyler zur Hälfte gehört, falls Sie es vergessen haben.»
«Das will ich nicht in Abrede stellen. Aber was ist mit unserer Hälfte?»
«Kronwyler wird uns natürlich entschädigen. Wir brauchen die Färberei doch gar nicht mehr!»
Paulina sah ihren Gatten fassungslos an. «Tut es Ihnen nicht in der Seele weh, alles herzugeben, was Ihr Vater so mühsam aufgebaut hat?»
«Solange wir gut dafür bezahlt werden – nein!», antwortete Pierre frei heraus. «Kronwyler wird sich nicht lumpen lassen, wenn ich ihm dabei helfe, die Färberei zurückzuerlangen. Er versteht sich zwar gut mit General Lefebvre, aber bei der Färberei will er kein Risiko eingehen.»
«Das heißt also, dass er Sie als Mittelsmann wünscht», folgerte Paulina.
«Ganz richtig!», ergriff Toscani das Wort. «Ihr Gatte verfügt über ein unglaubliches Geschick, mit den Franzosen zu verhandeln. Man könnte sagen, dass er … Wie soll ich es ausdrücken? … genau den Ton trifft, den unsere neuen Machthaber mögen. Wissen Sie, wie man Ihren Gatten mittlerweile überall nennt? Den Crefelder Franzosen!»
Paulina musste gegen ihren Willen schmunzeln. «Er hat
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