Die Seidenbaronin (German Edition)
hatte. Sie selbst sind schließlich nur in diese Familie gekommen, weil mein Vater es so wollte!»
«Seltsamerweise hat Conrad von Ostry in meinem Fall über einiges hinweggesehen, was seinem Sinn für Anstand und Moral schwerlich hätte entsprechen dürfen.»
«Aber was denken Sie denn, Paulina!», rief Catherine verächtlich. «An Ihnen war meinem Vater nur Ihr Rang wichtig, nicht Ihr Ruf!»
Einen Augenblick lang war Paulina ein wenig aus der Fassung gebracht. Wie hatte sie nur vergessen können, was für ein tiefer Abstieg ihre Heirat mit Pierre gewesen war?
«Nun stellen Sie sich vor, was gewesen wäre, wenn nach Ihnen ein Färber in unsere Familie eingeheiratet hätte!», fuhr Catherine fort. «Mein Vater hätte es lieber gesehen, dass ich als alte Jungfer sterbe!»
Am hohen Grad ihrer Erregtheit konnte Paulina erkennen, dass es bezüglich der Werbung des Färbers hitzige Debatten in der Familie gegeben haben musste.
«In einem Jahr hat sich vieles gewandelt», erklärte sie mit ruhiger Stimme. «Die Franzosen sind in Crefeld, Ihr Vater und Ihr Bruder sind tot, die Zukunft unserer Seidenmanufaktur ist ungewiss. Pierre ist zwar Mitglied des Magistrats geworden, aber sein geringer Lohn wird in Papiergeld bezahlt, das zwei Tage später fast nichts mehr wert ist. Wenn wir das Seidenunternehmen aufgeben, werden Ihre Mutter, Sybilla und Sie ins Haus von Kronwyler ziehen müssen, damit er sie versorgt. Es wird nicht einmal eine gute Mitgift vorhanden sein, die einen jungen Mann veranlassen könnte, Ihnen den Hof zu machen. Oder halten Sie Pierre vielleicht für fähig, die Geldangelegenheiten der Familie in die Hand zu nehmen?»
Catherine hatte ihr mit offenem Mund zugehört. Bei Paulinas letztem Satz senkte sie den Kopf.
«Ich habe mich entschlossen, die Manufaktur in Crefeld wiederaufzubauen», fuhr Paulina fort. «Natürlich will ich nicht in Abrede stellen, dass ich auch eigene Interessen verfolge. Ohne einen gewissen Ehrgeiz kann so ein Vorhaben nicht gelingen. Wenn es gutgeht, werden Sie alle etwas davon haben. Dazu gehört auch das eine oder andere persönliche Opfer.» Ihre Stimme wurde ein wenig leiser. «Auch ich habe schon mehr als genug bezahlen müssen.»
Catherine fing an zu schluchzen. «Cornelius missfällt mir ja nicht einmal. Ich … ich hätte nur bei der Wahl meines Gatten gerne ein Wörtchen mitgeredet.»
Paulina atmete erleichtert auf. Catherine war also einer Verbindung mit Thomas Cornelius nicht gänzlich abgeneigt.
«Das Leben ist eben alles andere als romantisch», sagte sie prosaisch. «Außerdem – wollen Sie wirklich als alte Jungfer sterben?»
Damit war es um die junge Kaufmannstochter geschehen. Catherine fiel Paulina um den Hals und ließ ihren Tränen freien Lauf. All die Trauer und Verzweiflung der letzten Monate brachen sich Bahn. Paulina hielt ihre Schwägerin im Arm und streichelte ihr über den Rücken. Während sie beruhigend auf die junge Frau einredete, fiel ihr Blick durchs Fenster, und sie sah Thomas Cornelius im eleganten Rock und Hut die Straße entlangkommen.
Das war wirklich höchste Zeit, dachte sie und atmete tief aus.
«Wird er mir denn wenigstens einen richtigen Antrag machen?», schluchzte Catherine an ihrer Schulter.
Paulina schloss kurz die Augen und sagte voller Überzeugung: «Das wird er ganz bestimmt, meine Liebe!»
Pierre blieb fast der Bissen im Hals stecken.
«Das sind ja wahrhaft aufregende Neuigkeiten!», sagte er und versuchte krampfhaft, ein Husten zu unterdrücken. «Sie haben die Seidenproduktion wiederaufgenommen und sind außerdem in anderen Umständen? Konnten Sie mir das nicht in besser zu verdauenden Portionen servieren?»
Paulina hatte für ihre Eröffnungen eine Gelegenheit gewählt, bei der Pierre und sie alleine waren.
«Dafür dass wir beide nicht lange in Crefeld bleiben wollten, haben wir in der kurzen Zeit eine Menge bewegt», meinte Pierre, nachdem er die Nachrichten sozusagen geschluckt hatte. «Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Wenn Homberg bei der Sache mitmacht, muss sie Hand und Fuß haben. Ehrlich gesagt, hätte ich auch nichts dagegen, wenn wir uns dadurch wieder ein bisschen besser stellten. Ich werde nicht ewig bei meinem Schneider anschreiben lassen können.»
«Tja, mit Schönrederei lässt sich nicht viel Geld verdienen», bemerkte Paulina achselzuckend.
«Wenn Toscani und ich uns nicht mit den Franzosen arrangiert hätten, könnten Sie Ihre ambitionierten Unternehmungen nicht durchführen»,
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