Die Seidenbaronin (German Edition)
«Erneut bleiben uns nur die Erinnerung und das Briefeschreiben. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als jetzt bei Ihnen zu sein. So aber muss ich mich damit begnügen, an Sie zu denken. Ob Sie wohl wieder irgendwelche Verrücktheiten anstellen? Nie habe ich eine Frau wie Sie kennengelernt, die wutentbrannt von Empfängen fortläuft, die im strömenden Regen Fuhrwerke aus dem Graben zieht und die auf die Idee kommt, Bernstein zu suchen. Mich dürstet danach, Sie in den Arm zu nehmen und Ihre kleine vorwitzige Nase mit tausend Küssen zu bedecken. Hilft Ihnen mein kleines Geschenk, sich meiner zu entsinnen? Sie haben mich sehr glücklich gemacht!»
Immer und immer wieder las Paulina die wundervollen Zeilen, bis sie die Worte fast aus dem Gedächtnis wiederholen konnte. Es folgten noch ein paar unverfängliche Sätze über das Leben im Feldlager. Aus Sorge, dass sein Schreiben in falsche Hände fallen könnte, beschränkte Christian sich auf das Allernotwendigste, aber Paulina meinte ihn dennoch zu verstehen.
«Wir werden uns nicht mehr lange in diesem Land aufhalten können. Es wird nicht zu verhindern sein, dass wir es bald verlassen müssen», hatte er am Schluss angefügt.
Die Franzosen waren kurz davor, Holland zu erobern!
Der zweite Brief war von Karoline von Bahro und trübte Paulinas Freude ganz beträchtlich.
«Meine liebe Frau von Ostry», schrieb Christians Schwester. «Wochenlang habe ich gebetet, dass meine Nachricht Sie in Boltenhusen noch rechtzeitig erreicht hat, bis mir ein Brief meines Bruders schließlich Gewissheit gab. Er klang sehr glücklich. Schon allein dafür hat es sich gelohnt, ein wenig Vorsehung zu spielen. Außerdem weiß ich, dass mein Geheimnis bei Ihnen gut aufgehoben ist.
Der Anlass meines Schreibens ist allerdings ein anderer, leider wenig erfreulicher. Es ist bis zu meinem Vater nach Hannover vorgedrungen, dass Sie nun in Schloss Boltenhusen leben. Man redet viel über Sie in Mecklenburg, und da war es nur eine Frage der Zeit, wann er davon erfahren würde. Er weiß auch, dass Christian Sie auf dem Empfang des Grafen Heimroth getroffen hat. Mein Vater wird mit aller Macht versuchen, künftige Begegnungen zwischen Christian und Ihnen zu vereiteln. Ich halte ihn sogar für imstande, jemanden zu beauftragen, der Sie in Boltenhusen überwacht. Sollten Sie also vorhaben, sich mit Christian zu treffen, so wählen Sie jeden anderen Ort, nur nicht Boltenhusen! Und versuchen Sie, größtmögliche Diskretion zu wahren! Mein Vater möchte seinen Sohn nach dessen Dienst in der Armee als Minister am Hof von Hannover einführen. Er wird alles tun, damit Christians Ruf nicht geschädigt wird. Geben Sie also acht! Ich wünsche Ihnen und Christian alles erdenklich Gute.»
Paulina ließ sich langsam auf einen Stuhl sinken. Lange Zeit saß sie da, mit Karolines Brief in der Hand, und starrte vor sich hin. Plötzlich stand ihr Entschluss fest. Der Plan, der schon die ganzen Tage über in ihr reifte, nahm endgültig Gestalt an. Wie der Zufall es wollte, waren ihr gerade die letzten beiden fehlenden Glieder der Kette beschert worden.
Paulina sprang auf, verstaute die Briefe in ihrem Kleid und machte sich auf die Suche nach Homberg. Sie fand den Buchhalter im Salon, wo er artig auf sie wartete.
«Werter Herr Homberg», sagte sie. «Ich habe Ihnen Folgendes mitzuteilen: Erstens sollten Sie Ihre Familie schnellstmöglich nach Crefeld holen. Zweitens werden die holländischen Häfen bald wieder zugänglich sein. Drittens werde ich mich sofort um Weber bemühen. Viertens habe ich vor, im Sinne des seligen Conrad von Ostry neue Wege zu gehen.»
Auf Hombergs schmalen Lippen war die Andeutung eines Lächelns zu erkennen. «Ich werde mich gleich morgen mit unseren französischen Geschäftspartnern in Verbindung setzen.»
Paulina spürte, wie zwei kleine Tränen über ihre Wangen rollten. Energisch wischte die junge Frau sie weg.
«Und fünftens habe ich einen Fabrikmeister.»
Kapitel 35
Crefeld, Februar 1795
Longeaux schnitt Paulina mit seinem rollenden Stuhl den Weg ab und baute sich drohend vor ihr auf.
«Warum habe ich den Eindruck, dass Sie irgendetwas hinter meinem Rücken planen, Bürgerin Ostry?», fragte er.
Paulina machte große Unschuldsaugen. «Wie kommen Sie darauf, Monsieur Longeaux?»
«Glauben Sie nicht, dass meine Unbeweglichkeit zwangsläufig auch Unwissenheit oder gar Dummheit nach sich zieht! Man berichtet mir, dass Sie mannigfaltigen Aktivitäten nachgehen. Sie werden
Weitere Kostenlose Bücher