Die Seidenbaronin (German Edition)
der einen gut behandelt hat, zu einem anderen abwandert. Von der Leyens haben viel für ihre Stadt und ihre Arbeiter getan, auch wenn andere Fabrikanten darunter leiden mussten. Mein Ruf wäre für immer ruiniert, wenn ich das Unternehmen nun verlassen würde.»
Auch wenn Paulina gehofft hatte, ihn auf einfache Art überzeugen und sich das Folgende ersparen zu können, war sie erfreut über seine Integrität. Er würde diese auch ihr gegenüber an den Tag legen, wenn es erforderlich war.
Sie holte tief Luft. «Es gibt etwas, das Ihnen mein Angebot vielleicht versüßen könnte.» Da Thomas nichts sagte, fuhr die junge Frau fort: «Vielleicht würden Sie Ihre Entscheidung noch einmal überdenken, wenn damit die Möglichkeit verbunden wäre, um die Hand des gnädigen Fräuleins von Ostry anzuhalten.»
Thomas zuckte zusammen und starrte sie fassungslos an. Verlegen strich er durch sein Haar.
Paulina frohlockte. Ihre Vermutung hatte sich also als richtig erwiesen. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass seine Gefühle für Catherine sich mittlerweile nicht geändert hatten.
Ihre Sorge war jedoch unbegründet. Nachdem er sich von der ersten Überraschung erholt hatte, sank Thomas völlig überwältigt auf einen Stuhl. «Sie meinen … ich sollte …», stammelte er, «… wo Herr von Ostry doch damals dagegen war … nun, mittlerweile hat sich meine Position ja geändert … aber glauben Sie denn, dass Fräulein Catherine mich erhören würde …?»
«Wenn Sie bei Ihrem Antrag in derartiges Stottern verfallen, wird Catherine Sie bestimmt fortjagen», meinte Paulina. «Falls Sie aber wieder etwas mehr Mühe auf Ihre äußerliche Erscheinung verwenden und der jungen Dame zudem den Lebensstil versprechen können, den sie gewohnt ist …»
«Ich würde ihr sogar die Sterne vom Himmel holen, wenn es sein müsste!», rief Thomas voller Leidenschaft.
Paulina musste schmunzeln. «Sie zu heiraten, würde fürs Erste reichen.»
Sie dachte an all die Nachmittage, an denen sie mit Catherine in romantischen Träumereien geschwelgt hatte. Ob ihre Schwägerin ahnte, welche Gefühle sie in diesem wackeren Mann ausgelöst hatte?
«Für Ihre weiteren Ambitionen müssten Sie natürlich über die nötigen Geldmittel verfügen», setzte Paulina hinzu.
«Ich nehme Ihr Angebot an!» Thomas sprang auf und begann, hastig die in seiner Wohnstube herumliegenden Sachen aufzuräumen. «Glauben Sie, dass Fräulein Catherine sich in diesem Haus wohl fühlen würde?»
«So, wie es jetzt hier aussieht, sicher nicht. Aber ich denke, Sie werden nicht mehr lange hier wohnen müssen.»
«Und Sie meinen wirklich, ich könnte es wagen, Fräulein von Ostry um ihre Hand zu bitten? Herr von Ostry hat mir strikt untersagt, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.»
«Die Zeiten ändern sich eben», antwortete Paulina.
Plötzlich hielt der junge Mann inne. «Und die von der Leyens? Wie soll ich Kronwyler und ihnen jemals wieder unter die Augen treten?»
Paulina lächelte geheimnisvoll. «Ich werde den von der Leyens über Herrn Kronwyler einen Vorschlag machen, der sie für den Verlust des Fabrikmeisters Cornelius entschädigt.»
«Sie haben an alles gedacht, nicht wahr?» In Thomas’ Stimme schwang neben einer gehörigen Portion Sarkasmus auch Bewunderung mit. «Aber woher wollen Sie die Rohseide einführen? Warum sollten ausgerechnet Sie bessere Möglichkeiten haben als die anderen Fabrikanten?»
«Ich werde die Rohseide aus Lyon beziehen.»
Cornelius’ Bedenken standen ihm ins Gesicht geschrieben.
«Ihnen ist anscheinend nicht bekannt, dass die französische Rohseide nicht die gleiche Qualität besitzt wie die italienische.»
«Selbstverständlich ist mir das bekannt. Aber die Zeiten der aufwendigen Garderoben sind vorbei. Die Mode und die Vorlieben haben sich durch die Revolution geändert. Ich werde auf die Herstellung von einfachen Samtstoffen umstellen. Dafür ist die französische Qualität ausreichend.»
Thomas nickte beeindruckt. «Eine andere Frage, Madame: Was ist mit der Färberei?»
«Noch befindet sich darin das Lazarett der Franzosen. Aber ich hoffe, dass mein Gatte das klären wird. Für irgendetwas muss seine Berufung in den Magistrat ja gut sein!»
«Und was ist, wenn Fräulein von Ostry meinen Antrag nicht annimmt?»
Paulina hatte diese Frage befürchtet. Darin lag der Schwachpunkt ihrer Planungen. Sie wusste nicht, ob die Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruhte. Aus Catherines Verhalten beim Mittagsmahl war
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