Die Seidenbaronin (German Edition)
hat mir Anweisung gegeben, mich persönlich darum zu kümmern, dass Ihnen nichts geschieht.»
«Dabei waren Sie sicher froh, dass Sie Ihren Auftrag, die störrische Gräfin Ostry aus Paris zu holen, endlich erfüllt hatten», bemerkte Paulina spitz.
Er wandte sich ab und blickte mit abwesender Miene aus dem Fenster. Paulina fühlte sich ihm fremder als jemals zuvor. War dies wirklich der Mann, der einmal ihr zuliebe im Morgengrauen am Ostseestrand einen Bernstein gesucht hatte, der sie an die Farbe seiner Augen erinnern sollte?
«Ich hatte schon weitaus unangenehmere Dinge im Dienste Preußens zu tun», sagte er, ohne sie anzusehen. «Für die Königin wäre ich noch viel weiter gefahren.»
Paulina spürte einen Stich im Herzen.
«Weiß Ihre Majestät, dass Sie und ich …?», begann Paulina, doch bevor sie weitersprechen konnte, fiel Christian ihr heftig ins Wort.
«Dass uns einmal mehr verbunden hat als eine entfernte Verwandtschaft? Selbstverständlich weiß sie es nicht!»
Paulina schwieg betroffen. Eine Weile waren nur die Geräusche der Pferdehufe und der Kutschenräder zu hören.
«Hat Ihnen die Inszenierung Ihres Kaisers gefallen?», fragte Christian plötzlich. Er sah sie aus seinen unergründlichen Augen an. «Wie konnten Sie nur jemals nach Paris gehen und sich zur Marionette dieses kriegslüsternen Despoten machen lassen?»
«Finden Sie nicht, Herr Hauptmann, dass Ihr Urteil etwas hart ausfällt?», fragte Paulina. «Immerhin bejubelt man diesen Despoten überall als großen Befreier.»
«Die Menschen haben eben noch nicht begriffen, dass Napoleon dabei ist, halb Europa zu unterwerfen.»
«Nicht allen Staaten scheint das zu missfallen.»
«Und Sie, meine Liebe?», fragte Christian und blickte sie eindringlich an. «Leben Sie gerne in Paris?»
«Ich habe in Paris mehr erreicht, als ich mir jemals zu träumen gewagt hätte», antwortete sie ehrlich.
«Hatten Sie nie das Gefühl, Ihr Vaterland zu verraten?»
«Mein Vaterland? Wo sollte das denn sein? Ich könnte Ihnen ja nicht einmal sagen, wo meine Heimat ist. Der einzige Ort, an dem ich mich je zu Hause gefühlt habe, ist Boltenhusen.»
Christian beugte sich vor. Sein wundervolles Gesicht, von dem sie so lange Jahre geträumt hatte, war ihr so nahe.
«Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie von Boltenhusen fortgegangen sind», sagte er mit heiserer Stimme.
Paulina wandte sich ab. «Das wissen Sie doch!»
«Aber Sie hätten … ich meine, es wäre doch möglich gewesen, das Kind in Boltenhusen zu bekommen.»
«Nein, das wäre es nicht!», rief sie hitzig aus. «Das wäre es nicht!»
Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschrien, dass es sein Vater gewesen war, der dies zu verhindern gewusst hatte. Aber würde Christian sich jemals gegen seinen eigenen Vater stellen?
Die Kutsche hielt vor der ärmlichen Bauernkate, in der Paulina Aufnahme gefunden hatte. Eine Ziege stolzierte vor dem Haus auf und ab. Ein Bündel Gras hing ihr seitlich aus dem Maul.
Paulina und Christian sahen sich an.
Wir haben nur so wenige Stunden unseres Lebens miteinander verbracht, dachte Paulina wehmütig. Nie hatten wir die Möglichkeit, uns richtig kennenzulernen. Wenn wir uns wiedersahen, fanden wir den anderen völlig verändert vor. Mittlerweile gibt es mehr Dinge, die uns trennen, als Dinge, die uns vereinen. Ob wir uns jemals einander annähern könnten?
Sie war kurz davor, ihm zu sagen, warum sie nicht in Boltenhusen geblieben war, warum sie dort nicht hatte bleiben können. Doch dann sah sie, dass sein Gesicht sich verfinsterte.
«Wissen Sie, was ich glaube, Madame?», sagte er. «Es war besser so, wie es gekommen ist. Was wäre gewesen, wenn wir uns in Westfalen wiedergesehen hätten? Wir hätten eine kurze Zeit miteinander verbracht, und dann wären Sie zurück nach Crefeld zu Ihrer Manufaktur und zu Ihrem Gatten gefahren.»
«Woher wollen Sie das so genau wissen?», fragte Paulina.
«Weil ich mir Ihr Verhalten nicht erklären kann. Es muss eine Antwort geben auf diese Frage, die mir seit vielen Jahren nicht aus dem Kopf geht: Warum sind Sie mit Ihrem Gatten nach Crefeld gegangen? Warum haben Sie auch diesmal nicht auf mich gewartet?»
Kapitel 46
Piktupönen, Juli 1807
«Was hat dieser Höllenhund getan? Er hat verlangt, dass von Hardenberg seinen Abschied nimmt? Ausgerechnet unser edler Minister! Nehmen die Demütigungen durch diesen Emporkömmling denn gar kein Ende?»
Königin Luise lief aufgeregt zwischen den Koffern hin und her, die
Weitere Kostenlose Bücher