Die Seidenbaronin (German Edition)
Zweite liegt ertrunken in der Seine. Und der Dritte, unser hübscher Jacques, dem hat man mit der Kurbel seiner Druckerpresse den Schädel eingeschlagen.»
Paulina musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut aufzuschreien. «Dann hat der Kaiser also seine Drohung wahr gemacht …»
«Haben Sie etwas anderes erwartet, Madame? Napoleon geht überaus geschickt vor: Er klagt diese jungen Männer, die alle aus angesehenen adeligen Familien stammen, nicht öffentlich an, sondern lässt sie gewissermaßen einfach verschwinden. Ihre Mörder werden nie gefunden, und ihren Familien wird man nahelegen, von Nachforschungen abzusehen. Die Tötung ihrer Söhne ist ihnen Warnung genug, und anderen dient es als Abschreckung. Nun, was Ihren Sohn betrifft …»
«Ich weiß seit ein paar Tagen von seinen Aktivitäten», unterbrach Paulina ihn hastig. «Natürlich habe ich ihn aufgefordert, diese sofort zu unterlassen. Um ihn von jeglicher Versuchung fernzuhalten, habe ich ihn aus Paris fortgeschickt.»
«Wohin haben Sie ihn geschickt, Madame? Wohin?»
Paulina schloss für einen Moment die Augen. Entweder sie rettete Frédéric nun vor Napoleons Geheimdienst, oder sie machte den größten Fehler ihres Lebens.
«Er ist vor drei Tagen nach Crefeld gefahren.»
Sie hörte, wie Longeaux scharf Luft einzog.
«Verdammt! Ich dachte es mir! Sie müssen ihm sofort jemanden hinterherschicken, der ihn aufhält und in Sicherheit bringt!»
Paulina fühlte Panik in sich aufsteigen. Wieso sollte sie ihrem Sohn jemanden hinterherschicken? Er fuhr doch nach Crefeld, ins kleine, beschauliche, biedere Crefeld! Wie hatte sie nur so naiv sein können, Frédérics Heldentaten als Dummejungenstreich abzutun? Pierre und sie hatten sogar noch darüber gelacht, was der Lausebengel da hinter ihrem Rücken angezettelt hatte, und gemeint, dass es ihm ganz guttun würde, in Crefeld ein wenig den Ernst des Lebens in Form von täglicher Arbeit kennenzulernen.
«Napoleon verfügt über ein dichtes Netz von Spitzeln», sagte Longeaux. «Und in Crefeld gibt es einen besonders eifrigen Ordnungshüter.»
Paulina hatte das Gefühl, dass alles vor ihren Augen verschwamm.
«In Crefeld? O Gott! Wer ist es, Monsieur, sagen Sie es mir?»
«Es ist einer der Seidenfabrikanten. Sie werden ihn sicher kennen. Sein Name ist Terbrüggen.»
Kapitel 50
Crefeld, Dezember 1809
«Ich habe immer geahnt, dass mit Terbrüggen etwas nicht stimmt. Sie doch auch, Madame, nicht wahr?»
Paulina saß mit tränenverschleierten Augen neben Thomas Cornelius in der Kutsche, die Crefeld an diesem Nachmittag durch das Hülser Tor verließ.
«Es war verwunderlich, dass er so schnell in Crefeld Fuß fasste», sprach Thomas weiter. «Die meisten, die sich in jener Zeit des Umbruchs hier ansiedelten, mussten sich hocharbeiten. Terbrüggen hingegen schien bereits alles zu haben, als er kam. Wenn man bedenkt, dass die Manufaktur seines Vaters am Boden war, als die Familie Crefeld verließ …»
«Er hat sich an die Franzosen verkauft», sagte Paulina bitter. «Und jetzt hat er womöglich meinen Sohn auf dem Gewissen.»
Thomas sah sie hilflos an. «Wir wissen doch gar nicht, ob es tatsächlich Frédéric ist, den man gefunden hat. Die Beschreibung könnte auf Tausende junger Männer passen.»
Paulina fuhr sich verzweifelt durchs Gesicht. «Ich habe gehört, was mit den anderen geschehen ist, die mit ihm zusammen diese Pamphlete gedruckt haben. Einem von ihnen hat man den Schädel eingeschlagen!»
«Das ist ja fürchterlich!» Thomas senkte bestürzt den Kopf.
«Ich kann an nichts anderes mehr denken», sagte Paulina mit leerem Blick. «Jede Minute male ich mir aus, was mit Frédéric passiert sein könnte. Meine Schwiegermutter, Catherine, Sybilla und die Kinder sitzen in trauter Runde am Tisch, unterhalten sich und lachen, ahnungslos, wie sie glücklicherweise sind. Ich kann kaum Ihren ältesten Sohn anschauen, Cornelius, denn auch wenn er in seiner gemächlichen Art fast gar nichts mit meinem quirligen Frédéric gemein hat, erinnert er mich doch ständig an ihn …» Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.
«Vielleicht ist Ihr Sohn noch unterwegs», wiederholte Thomas in seiner Ratlosigkeit den Satz, den er seit ihrer Ankunft immer wieder wie ein Gebet aufgesagt hatte.
Paulina schüttelte heftig den Kopf. «Sie wissen selbst, wie unwahrscheinlich das ist! Ich bin bereits seit vier Tagen in Crefeld, und Frédéric hatte zudem drei Tage Vorsprung.»
Sie schwiegen.
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