Die Seidenbaronin (German Edition)
von Birnreuth und streckte sich wenig damenhaft auf ihrem Platz in der Kutsche aus. «Noch ein Ball, ein Theaterstück, ein Konzert oder was weiß ich für ein Mummenschanz, und ich falle um. Ich habe kaum geschlafen in den letzten Tagen!»
Paulina, die neben ihrer neuen Freundin aus dem Nachbarzimmer von Schloss Neustrelitz saß, musste lachen. «Dabei wollten Sie die Leute aus dem Norden doch so beeindrucken mit Ihren ausschweifenden Vergnügungen, erinnern Sie sich? Sie dürfen jetzt nicht schlappmachen, meine Liebe! Der Oberhofmarschall hat mir anvertraut, dass uns heute der Höhepunkt der Festlichkeiten erwartet.» Sie sah aus dem kleinen Fenster der Kutsche. «Wissen Sie, wo wir hier sind?»
«Aber ja!» Agnes unterdrückte ein Gähnen. «Dies ist der Englische Wald. Ich vermute, dass wir dort ein Picknick machen. Wir werden im Gras hocken, unter der Sonne schwitzen und uns der unzähligen Mücken erwehren.»
«Hauptsache, wir gehen nicht auf die Jagd!», mischte sich ihr Bruder Maximilian von Birnreuth ein, der schläfrig an der Wand der Kutsche lehnte. «Ich könnte heute ein Reh nicht von einem Hasen unterscheiden.»
«Das kommt davon, wenn man überhaupt nicht ins Bett findet», stichelte seine Schwester. «Wie ich hörte, hast du dich nach dem gestrigen Konzert noch die ganze Nacht im Dorf vergnügt.»
Maximilian schloss die Augen und lächelte genießerisch. «Ja, ein Vergnügen war es in der Tat!»
Paulina betrachtete die schöne Wald- und Parkanlage. Die Fürsten von Thurn und Taxis hatten sich hier ein wahres Kleinod geschaffen. Hohe Bäume, malerische Lichtungen, verträumte Plätze, glitzernde Waldseen – die Gegend war wie geschaffen für eine romantische Hochzeitsreise.
Sie war nun seit fast zwei Wochen in Trugenhofen, der Sommerresidenz der Thurn und Taxis. Fürst Anselm hatte dem Brautpaar einen überwältigenden Empfang bereitet. Eine Feierlichkeit jagte die nächste: Bälle, Konzerte, Schauspiele, Lesungen – das Fest wollte kein Ende mehr nehmen.
Das Blasen von Jagdhörnern kündigte das Ziel der kleinen Ausfahrt an. Die sechsspännigen Gefährte der Hofgesellschaft hielten auf einer großen Waldwiese. Paulina kletterte erwartungsvoll hinter Agnes aus der Kutsche und sah sich um.
Auf der Lichtung tummelten sich die Höflinge. Die Herren standen in kleinen Gruppen beisammen und diskutierten eifrig über die neuesten politischen Ereignisse in Frankreich, die zwar besorgniserregend, aber gottlob weit genug weg waren. Die Damen flanierten plaudernd über die Wiese und hielten spitzenbesetzte Sonnenschirme in die Höhe, um sich vor der brennenden Junisonne zu schützen. Kleine Pinscher flitzten kläffend zwischen ihren Beinen umher.
«Schauen Sie nur!», rief Agnes aufgeregt und zog Paulina durch die Reihen der noblen Gäste. «Dort sind Therese und Karl Alexander!»
Paulina reckte den Kopf und sah, wie die beiden Neuvermählten in Begleitung einiger Höflinge zu einem weißen Tempelchen hinaufstiegen. Als sie oben ankamen, trat ihnen aus dem Gebetshaus eine Frau in einem wallenden Kleid entgegen, ein mondsichelförmiges Diadem im Haar. Sie hatte einen Köcher mit Pfeilen umgehängt und hielt einen großen, geschwungenen Bogen in der Hand, den sie in einer theatralischen Geste durch die Luft schwenkte.
«Die Göttin Diana!», rief jemand.
«Nein, das ist die Baronin Eberstein!», sagte ein anderer.
«Puh!», machte der Nächste. «Seien Sie doch nicht so furchtbar unromantisch!»
Die Frau aus dem Tempel bedeutete den Brautleuten mit verführerischer Miene, ihr zu folgen. Angeführt von der Göttin Diana und dem Prinzenpaar, setzte sich die Hofgesellschaft munter schwatzend in Bewegung. Es ging über Stock und Stein, bis die Höflinge einen kleinen Weiler erreichten. Fröhliche Musik und lautes Stimmengewirr schlugen ihnen entgegen. Die ganze Ortschaft war mit Girlanden und Fahnen geschmückt. Zwischen klapprigen Jahrmarktsbuden herrschte lustiges Treiben, und auf dem Marktplatz drehten sich mit schwingenden Röcken die Mädchen vor den Burschen beim Tanz. Die Dorfbewohner trugen ihre Sonntagstracht.
«Eine Bauernhochzeit!», rief eine Dame entzückt aus.
Als die Dörfler begriffen, welch hohen Besuch sie hatten, versanken sie in tiefe Verbeugungen. Der Brautvater, der sich als der Vorsteher des Ortes herausstellte, bat das Prinzenpaar an den Tisch der frischgebackenen Eheleute.
«Wir wollen mitfeiern!», beschloss die übermütige Hofgesellschaft und mischte sich unter die
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