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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
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ausgehalten?»
    «Sollte ich etwa auch noch Mitgefühl haben für ein Frauenzimmer, das sich lieber ins Bett seines Liebhabers gelegt hat als in meines?»
    «Das sind doch alles nur Behauptungen, für die Ihnen jegliche Beweise fehlen!», empörte Paulina sich.
    Ihr Vater fuhr hoch. «Du willst die Wahrheit wohl nicht hören, he? Dabei musst du es doch selbst miterlebt haben. Wie viele Liebhaber hatte sie in all den Jahren, seit sie von hier fort ist? Fünf, zehn, noch mehr? So schön, wie sie war, dürfte es ihr an Verehrern nicht gemangelt haben. Schließlich gab es ja keinen lästigen Ehegatten mehr …» Seine letzten Worte gingen in einem erneuten Hustenanfall unter, der seinen ganzen Körper schüttelte.
    Der Mann ist nicht nur dem Alkohol verfallen, er ist darüber hinaus auch noch sterbenskrank, dachte Paulina.
    Zwischen Mitgefühl und Abscheu hadernd, wandte sie sich an die alte Johanna. «Sie werden sicher nicht so herzlos sein und mich heute Nacht noch fortschicken. Haben Sie ein bescheidenes Lager für mich, auf das ich mich zum Schlafen niederlegen kann? Ich werde Ihnen nicht länger als nötig zur Last fallen.»
    Die Magd nickte stumm.
    Jobst von Gralitz war dem Husten mit einem kräftigen Schluck aus seinem Becher zu Leibe gerückt.
    «Geh du nur wieder!», stieß er prustend hervor. «Schon deine Mutter hat es hier nicht lange ausgehalten. Stell dir vor, sie hatte die Angewohnheit, bei Nacht und Nebel zu verschwinden. Aber das kann sie ja nun nicht mehr, denn aus einem Grab vermag selbst sie nicht zu entwischen!»
    Paulina bekreuzigte sich entsetzt.
    Johanna krallte ihre hageren Finger in den Arm der jungen Frau. «Kommen Sie, gnädiges Fräulein! Besser wird es heute mit ihm nicht mehr!»
    Paulina ließ sich fortziehen. Im Hinausgehen sah sie, dass ihr Vater mit gierigem Blick nach der Branntweinflasche griff.
    «Schade, dass du mir nicht noch länger Gesellschaft leistest, Töchterchen», lallte er. «Ich hätte zu gerne noch ein bisschen mit dir über alte Zeiten geplaudert.»

    «Mein Kind, Sie dürfen nicht so verbittert sein», sagte der Pastor. «Beten Sie für Ihren Vater, denn jedes Schäflein Gottes hat die Gnade des Herrn verdient.»
    Paulina, die am Fenster stand, fuhr herum. «Und wer findet vor meines Vaters Augen Gnade?», rief sie wütend. «Seine Bauern jagt er unter wüsten Beschimpfungen davon, dem Reisenden, der um einen Schlafplatz bittet, schlägt er die Tür vor der Nase zu, die alte Johanna scheucht er den ganzen Tag durchs Haus, und ich … nun, ich bin ständig Opfer seiner üblen Beleidigungen.»
    Über den Mund des Pastors glitt ein mitfühlendes Lächeln. Paulina fiel auf, wie jung er noch war.
    «Ihr Vater müsste seine Seele erleichtern. Ich bin sicher, dass er große Sünden begangen hat, mit denen er nicht leben kann. Aus diesem Grund komme ich immer wieder nach Erldyk. Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, dass er sich mir eines Tages anvertraut.»
    Paulina senkte den Kopf. Was würde dieser Pastor mit all seinem guten Willen schon ausrichten können? Ihrem Vater war nicht mehr zu helfen, so viel war ihr mittlerweile klar.
    Am Morgen nach ihrer Ankunft hatte sie bei Tageslicht das ganze Ausmaß der Verwahrlosung von Erldyk gesehen. Das Schloss war seit Jahren dem Verfall preisgegeben. Von den zahlreichen Räumen wurden außer der Küche nur drei bewohnt, und selbst diese waren nur notdürftig möbliert. Neben der Magd Johanna gab es lediglich einen alten Diener, der kaum sprach und völlig lethargisch die groben Arbeiten verrichtete, zu denen die Alte nicht mehr in der Lage war. Auf dem Schloss selbst fand keinerlei Bewirtschaftung statt. Die Nebengebäude und Stallungen waren verwaist und machten den Eindruck, als wären sie seit vielen Jahren nicht betreten worden. Nur ein altes, klappriges Pferd, eine Ziege und eine Handvoll Hühner wurden in einem behelfsmäßigen Verschlag gehalten.
    «Was ist mit den armen Bauern von Erldyk?», warf Paulina ein. «Klagen sie nicht darüber, dass sie ihre Felder nicht bestellen können, weil ihr Grundherr sich um nichts kümmert? Und Sie, Herr Pastor, reden von Gnade für diesen Mann!»
    Wie auf ein Zeichen flog die Tür auf, und herein stürmte Jobst von Gralitz in einem abgenutzten Morgenmantel aus Samt. Seine Augen sprühten vor Zorn.
    «Was willst du schon wieder hier, Pfaffe?» Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf seine Tochter. «Hat sie dich etwa hereingelassen? Ich dulde keine Frömmler in meinem Haus. Wer

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