Die Seidenbaronin (German Edition)
schaffen?»
Kapitel 24
Crefeld, Januar 1793
Als Paulina mittags aus der Färberei zurückkehrte, merkte sie schon beim Betreten des Hauses, dass etwas geschehen war. Alles war wie für einen Staatsempfang herausgeputzt, die Dienstboten liefen in heller Aufregung umher.
«Der gnädige Herr ist wieder da!»
Paulina reichte der Magd ihren Mantel und begab sich mit bangem Herzen in den Speiseraum. Die Familie war schon versammelt und gerade dabei, sich am Tisch niederzulassen.
«Oh, die gnädige Frau geruht, endlich zu erscheinen», sagte von Ostry, als sei er nie fort gewesen. «Sie werden doch wohl nicht die Gewohnheiten meines Sohnes übernommen haben, jetzt, wo er nicht da ist.»
Es war alles wie immer – von Ostry saß akkurat gekleidet der Tafel vor, und ihm war nicht anzumerken, dass er eine anstrengende Reise hinter sich hatte. Paulina murmelte ein paar Worte der Entschuldigung und schlich zu ihrem Platz.
«Darf man fragen, woher Sie kommen, meine Liebe?», fragte von Ostry, als alle mit Speis und Trank versorgt waren.
«Ich war in der Färberei», antwortete Paulina geradeheraus.
«Sie waren in der Färberei?» Von Ostry warf einen kurzen ungläubigen Blick auf seinen Sohn, der ihm verlegen auswich. «Was haben Sie in der Färberei zu schaffen?»
«Ich hatte einige Dinge zu klären.»
Von Ostry legte langsam sein Besteck ab. «Was heißt das, Sie hatten einige Dinge zu klären?»
Paulina sah ihm fest in die Augen. «Es gab Gerüchte unter den Arbeitern, dass die Produktion verringert werden solle. Die meisten anderen Fabrikanten haben wegen der Zahlung der Kriegsauflage einen Teil ihrer Stühle stillgelegt. Wir hingegen sind zu dem Schluss gekommen, dass dies für den Fortgang des Betriebs nicht ratsam ist, und haben eine größere Menge Rohseide geordert. Ich war in der Färberei, um dem Fabrikmeister dies mitzuteilen.»
Von Ostry saß wie vom Donner gerührt da. « Sie haben das veranlasst? Warum hat Jean sich nicht darum gekümmert?»
Eine unangenehme Stille war eingetreten. Plötzlich hatten alle aufgehört zu essen. Man warf sich gegenseitig beunruhigte Blicke zu.
Paulina schwieg. Sollte sie ihrem Schwiegervater sagen, dass sein Sohn, den er als seinen Nachfolger auserkoren hatte, tatsächlich völlig ungeeignet für die Leitung des Unternehmens war?
«Es war nicht ganz einfach ohne Sie und Kronwyler», machte Frau von Ostry schließlich den zaghaften Versuch einer Erklärung.
Ihr Gatte brachte sie mit einer zornigen Handbewegung zum Schweigen. Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab und legte sie auf den Tisch. Dann stand er langsam auf.
«Mir scheint, dass hier während meiner Abwesenheit einige merkwürdige Sitten Einzug gehalten haben, die einer sofortigen Überprüfung bedürfen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen.»
Die Familie sah sich bestürzt an. Es war noch nie geschehen, dass der Hausherr ein Mahl unterbrochen hatte und vorzeitig vom Tisch aufgestanden war. Nachdem von Ostry mit regungslosem Gesicht und einer unheilvollen Ruhe den Raum verlassen hatte, machte sich unter den Verbliebenen eine ratlose Betroffenheit breit.
«Sie werden sehen, was Sie von Ihrer Unverfrorenheit haben, die Angelegenheiten des Geschäfts an sich zu reißen!», machte Jean seinem angestauten Ärger auf Paulina Luft. «Den armen Homberg und Mutter konnten Sie mit Ihrer unverschämten Art um den Finger wickeln, aber Vater … nun, Vater werden Sie nicht täuschen können.»
«Es war nie meine Absicht, Ihren Vater zu täuschen», erwiderte Paulina kühl. «Ich sah das Unternehmen in arger Verlegenheit und habe gehandelt – das ist alles.»
«Warten wir doch ab, was Vater sagt, wenn er mit Homberg gesprochen hat», schlug Catherine vor.
«Homberg ist der Nächste, der seinen Hut nehmen muss!», entgegnete Jean ungehalten.
Paulina hatte wenig Lust, sich diesen Unsinn länger anzuhören. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und ging erhobenen Hauptes hinaus. Den ganzen Nachmittag lang wartete sie in ihrem Zimmer und fühlte sich, als stände ihr ein Gang zum Schafott bevor. Gegen Abend ließ von Ostry sie rufen.
Mit einem tiefen Seufzer nahm sie ihren Mantel und machte sich auf den Weg ins Geschäftshaus. Zu ihrer Verärgerung bemerkte sie, dass ihr die Knie zitterten.
Als sie das Kontor ihres Schwiegervaters betrat, bot sich ihr das vertraute Bild des Fabrikanten, der kerzengerade, mit ernstem Gesicht und der gespitzten Feder in der Hand an seinem Schreibtisch saß. Er musterte
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