Die Seidenbaronin (German Edition)
seine Schwiegertochter eindringlich, und Paulina versuchte vergeblich, in seinen Zügen einen Hinweis darauf zu entdecken, wie sein Urteil über sie ausgefallen war.
«Ich hatte ein langes Gespräch mit Homberg», begann er schließlich. «Zwar waren mir bereits unterwegs einige Nachrichten über die Besetzung der Stadt zugetragen worden, aber ich hatte nicht geahnt, welche Tragweite dieses Ereignis für Crefeld haben würde. Das Verfahren der Geiselnahme ist in anderen Städten auch angewandt worden, und da es überall zu einem guten Ende geführt hat, war ich nicht übermäßig beunruhigt. Nur waren die Auflagen anderswo nicht so gigantisch.»
«Sie sind mittlerweile vollständig bezahlt worden», sagte Paulina.
«Ja, ich weiß. Bürgermeister Althoff hat mich heute Nachmittag aufgesucht. Ihm wurde zugesagt, dass die Geiseln in den nächsten Tagen zurückkehren werden. Derweil sorgt Althoff sich darum, wie die Bürger von Crefeld baldmöglichst ihr Geld zurückerhalten. Kein Bankhaus wird allerdings dem Magistrat eine Anleihe geben, ohne dass private Bürgschaften vorhanden sind.»
«Althoff hat Sie gebeten, einer der Bürgen zu sein, nicht wahr?»
«So ist es. Nur die führenden Fabrikanten werden seiner Bitte Folge leisten können. Damit das Bankhaus eine Bürgschaft anerkennt, muss allerdings ausreichend Sicherheit vorhanden sein. Dies setzt voraus, dass ein Unternehmen, das die Grundlage dieser Sicherheit bildet, einträglich arbeitet.»
Er legte seinen Stift aus der Hand, stand auf und begann im Zimmer umherzugehen. «Als mich die Nachricht von den Vorfällen in Crefeld erreichte, war ich gerade dabei, in Blommersforst wichtige Verhandlungen für die Übersiedlung nach Westfalen zu führen. Ich konnte nicht fort und beruhigte mich selbst mit dem Gedanken, dass mein Sohn Jean den Vertrag mit dem holländischen Agenten unterzeichnen würde.» Er sah Paulina an. «Allerdings ist es etwas anders gekommen.»
Paulina nickte.
Von Ostry kam langsam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. «Ich bin beeindruckt, meine Liebe. Was Homberg und Sie getan haben, ist mehr als eines Lobes würdig. Sie haben nicht nur den Vertragsabschluss mit dem holländischen Agenten herbeigeführt, sondern darüber hinaus durch Ihre sonstigen Entscheidungen dafür gesorgt, dass ich Althoff guten Gewissens eine Bürgschaft zusagen konnte. Kronwyler und ich sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet.» Um seine Lippen spielte ein feines Lächeln. «Madame, ich muss sagen, Sie haben Ihre Sache außerordentlich gut gemacht.»
Am 19. Januar kehrten Oppermann, Kronwyler und Pierre von Ostry wohlbehalten aus der Geiselhaft zurück. Ein stattlicher Tross von Bürgern zog ihnen zu Pferd und in Wagen entgegen und bereitete ihnen einen feierlichen Empfang.
Pierre, der durch die einmonatige Gefangennahme nicht im mindesten geschädigt war, genoss sichtlich den Trubel um seine Person. Nur zu gerne erzählte er in den nächsten Tagen jedem, der es hören wollte, in aller Ausführlichkeit von seiner Geiselhaft.
«Durch seinen Körper fließt mehr französisches Blut, als ich ahnte», kommentierte von Ostry das in vielen Augen unmögliche Benehmen seines Sohnes.
Nachdem aber auch Oppermann und Kronwyler nichts Nachteiliges über das Verhalten der Franzosen berichten konnten, beruhigten sich die Gemüter schnell wieder.
Eine weitere Woche später kamen auch Konrad Isaak von der Leyen und Peter von Loevenich zurück. Frieden kehrte in die Stadt ein. Inzwischen nahmen in Frankreich die beunruhigenden Ereignisse ihren Fortgang. König Ludwig XVI. wurde nach einem Hochverratsprozess durch die Guillotine hingerichtet. Die Republikaner lieferten sich untereinander erbitterte Machtkämpfe; die Schreckensherrschaft der Jakobiner begann. Ihre Gegner wurden zu Tausenden verfolgt, eingesperrt und hingerichtet.
«Die Franzosen werden wiederkommen», prophezeite von Ostry und trieb die Übersiedlung nach Westfalen voran. Ein Lager wurde in Blommersforst errichtet, in das er ab Mitte des Jahres einen Teil der Warenbestände bringen ließ.
Kronwyler teilte von Ostrys Bedenken nicht ganz.
«Diese Irren sind dabei, sich selbst zu zerstören», war seine Meinung. «Lange wird dieser Wahnsinn nicht mehr Bestand haben. Die Grundidee war nicht verkehrt, aber was die Franzosen daraus gemacht haben, entbehrt jeder Vorstellungskraft. Wie kann es möglich sein, dass ein kultiviertes Volk seine Moral so weit hat verkommen lassen, dass es förmlich danach lechzt, bei
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