Die Seidenbaronin (German Edition)
Lage in Crefeld nicht. Vielleicht hätte er angesichts der mittlerweile eingetretenen Umstände Bedenken, den Vertrag abzuschließen. Schließlich mussten wir hohe Summen zur Zahlung der Kriegsauflage beitragen und sind kaum noch handelbar.»
«Gerade deshalb erscheint es mir wichtig, das Geschäft voranzutreiben.»
Jean fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Paulina hatte offenbar den Punkt getroffen, der ihm selbst Kopfzerbrechen bereitete. «Sagen Sie Homberg, er soll den Agenten hinhalten», meinte er schließlich.
Paulina glaubte, nicht richtig zu hören. Hatte ihr Schwager sie nicht verstanden? Sie sah ihn an, wie er mit unglücklichem Blick den Kopf zur Decke hob, als könnte irgendeine höhere Macht ihm einen Ausweg zeigen. Und dann begriff sie. Er konnte nicht anders. Jean war ohne seinen Vater und Kronwyler einfach nicht in der Lage zu handeln.
Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Zimmer und ging hinüber ins Geschäftshaus. Homberg saß tief über seine Bücher gebeugt im Kontor. Als Paulina eintrat, blickte er erwartungsvoll auf.
Die junge Frau ließ sich wenig damenhaft auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. «Ich werde jetzt etwas tun, von dem ich mir geschworen habe, dass ich es nie wieder tun würde: einem Menschen blind vertrauen. Ich verlasse mich auf Ihre Urteilskraft, Homberg, und ich hoffe, dass ich es nicht bereuen werde.»
Hombergs Gesichtsausdruck wechselte von Erstaunen über Ungläubigkeit zu Bestürzung. «Was meinen Sie damit, gnädige Frau?»
«Sie hatten recht. Mein Schwager ist nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Da ich allerdings überzeugt davon bin, dass ich im Sinne von Kronwyler Sohn und von Ostry handele, bin ich zu folgendem Entschluss gekommen. Glauben Sie, dass der Agent auch meine Unterschrift anerkennen würde?»
Sie erwartete, dass der Kontorangestellte ihren aberwitzigen Einfall sofort vehement zurückweisen würde, doch zu ihrer Überraschung verzog er nur nachdenklich den Mund.
«Ich denke schon», sagte er schließlich. «Letztendlich ist es gleichgültig, wer mit dem Namen von Ostry die Unterschrift leistet, solange das Schreiben ein Siegel trägt. Es ist alles vorbereitet. Nur die Unterzeichnung und das Siegel fehlen noch.»
«Haben Sie den Agenten benachrichtigt?»
Homberg nickte.
«Gut, dann werden wir es so machen. Aber lassen Sie mich bis zur Ankunft des Agenten wenigstens einmal in die Bücher schauen.» Paulina beugte sich vor und stützte ihre Arme auf dem Schreibtisch ab. «Auch wenn ich Sie für einen ausgezeichneten und überaus loyalen Kontorangestellten halte, Homberg – ich weiß doch ganz gerne, was ich unterschreibe.»
Der holländische Agent reiste am nächsten Morgen ab – mit einem Vertrag im Gepäck, der ihn ermächtigte, den gesamten Amsterdamer Lagerbestand des Unternehmens Kronwyler Sohn und von Ostry nach Amerika zu verschiffen. Paulina mochte sich lieber nicht ausmalen, was wäre, wenn sie nicht im Sinne ihres Schwiegervaters gehandelt hatte.
Glücklicherweise hatte Paulina keine Muße, sich allzu viele Gedanken zu machen. Endlich traf aus Straelen eine Nachricht von den Geiseln ein, die über ihr Schicksal Auskunft gab. Demzufolge schien es ihnen nicht einmal schlechtzugehen.
Sie hatten es sogar geschafft, von La Marlière einen Nachlass in Höhe von siebzigtausend Gulden zu erwirken. Man sitze abends immer beim Kartenspiel zusammen, und besonders eine der Geiseln sei ein wahrer Könner darin.
Paulina brach in schallendes Gelächter aus, als sie das hörte. Sie wusste genau, wer damit gemeint war, und stellte sich den grobschlächtigen La Marlière vor, wie er sich nichtsahnend auf eine Partie mit ihrem Gatten einließ und sich nur noch wunderte, dass dieser vornehme Galan sich besser aufs Spiel verstand als der übelste Hasardeur einer finsteren Spelunke.
Wahrscheinlich hat Pierre schon Brüderschaft mit La Marlière getrunken und singt mit ihm zusammen das Hohelied auf die Revolution, dachte Paulina schmunzelnd und stellte fest, dass sie sich um ihren Gatten nicht einmal Sorgen machte.
Inzwischen unternahmen die Crefelder alles Erdenkliche, um so schnell wie möglich den Restbetrag der von La Marlière geforderten Summe zusammenzutragen. Drei Kaufleute wurden nach Elberfeld und Köln geschickt, um das Geld dort zu beschaffen, doch sie kehrten unverrichteter Dinge zurück. Die von der Leyens wandten sich sogar an den preußischen König, der seine treuen Untertanen daraufhin damit
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