Die Seidenbaronin (German Edition)
die Kutsche Neubrandenburg. Der Wagen rollte gemächlich durch die Straßen der herzoglichen Sommerresidenz. Paulina saß wie auf heißen Kohlen und hätte dem Kutscher fast die Peitsche aus der Hand gerissen. Als er dann auch noch vor dem Gasthof «Zum Weißen Schwan» anhielt, war es um ihre Beherrschung geschehen.
«Wollen Sie etwa Rast machen?», fuhr sie ihn an. «Fahren Sie sofort weiter, sonst holen wir Herrn von Bahro niemals ein!»
Franz drehte sich gelangweilt zu ihr um. «Wenn wir weiterfahren, gnädige Frau, werden wir Herrn von Bahro in der Tat nicht einholen.»
«Was soll das heißen?»
«Nun, ganz einfach. Herr von Bahro befindet sich nicht auf dem Weg zu seinem Schloss.»
Paulina hätte den dummen Mann am liebsten fest geschüttelt. «Aber wo befindet er sich dann, in Gottes Namen?»
Franz wies auf den Gasthof. «Hier, gnädige Frau. Herr von Bahro ist im ‹Weißen Schwan› abgestiegen. Es sei denn, er hat endgültig aufgegeben und ist abgereist.»
«Woher wissen Sie das?»
«Das wäre ja noch schöner, wenn ich das nicht wüsste», antwortete der Bursche grinsend. «Die Besuche des Grafensohns sind in der ganzen Umgebung in aller Munde.»
Paulina warf ihm einen zornigen Blick zu, kletterte aus dem Wagen und betrat das Gasthaus. Im dämmrigen Licht der Wirtsstube saß an den Tischen verteilt eine Handvoll Männer in einfacher Bürgertracht. Von Christian war nichts zu sehen.
Noch während Paulina überlegte, an wen sie sich wenden sollte, öffnete sich eine seitliche Tür. Ein beleibter Mann mit roter Nase und einem Tablett in der Hand kam aus einem Nebenraum. Als er Paulina erblickte, eilte er geschäftig auf sie zu.
«Was kann ich für Sie tun, meine Gnädigste?», rief er ihr entgegen.
Paulina sah sich um. Die anwesenden Herren hatten ihre Gespräche unterbrochen und starrten neugierig zu ihr herüber.
Die junge Frau trat etwas näher an den Wirt und sagte leise: «Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir uns nicht hier vor aller Ohren unterhalten müssten.»
Seine Augen blitzten verschwörerisch auf. «Ich verstehe, gnädige Frau. Folgen Sie mir bitte!»
Er führte Paulina in eine kleine Kammer, in der nur ein Sekretär und ein Stuhl standen.
«Verzeihen Sie, dass ich Sie in mein Schreibzimmer bringe», sagte er und ordnete schnell ein paar verstreut herumliegende Blätter. «Aber hier sind wir ungestört. Dieses Gasthaus ist ein verschwiegener Ort. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?»
«Ich möchte lediglich eine Auskunft von Ihnen. Können Sie mir sagen, ob ein Herr von Bahro bei Ihnen abgestiegen ist?»
Der Wirt grinste anzüglich. «Ja, Herr von Bahro bewohnt seit mehreren Tagen einige meiner Gastzimmer.»
Paulina schloss vor Erleichterung kurz die Augen. «Könnten Sie ihm bitte mitteilen, dass Frau von Ostry ihn zu sprechen wünscht.»
Der Wirt schüttelte den Kopf. «Der gnädige Herr ist, nachdem er vor ungefähr einer halben Stunde hier eintraf, zu einem Ritt über Land aufgebrochen. Er wird nicht vor Abend zurückerwartet.»
Paulina hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. «Dann werde ich eben hier warten.»
Der Wirt fasste sich nachdenklich mit dem Finger ans Kinn.
«Vielleicht kann jemand anders Ihnen helfen …», sagte er geheimnisvoll und eilte aus der Kammer, ehe die junge Frau ihn davon abhalten konnte.
Paulina war drauf und dran, das Gasthaus zu verlassen, doch dann siegte ihre Neugier. Nur wenige Minuten später kehrte der Wirt zurück und teilte ihr mit, dass eine Dame sie zu sprechen wünsche. Allerdings erscheine ihr das Gasthaus nicht als geeigneter Ort für ein Treffen, und sie bitte die gnädige Frau, in einer Stunde zum Torhaus am Schloss zu kommen.
Wer mochte diese Dame sein? Womöglich handelte es sich sogar um Christians Gemahlin! Aber warum kam er dann immer wieder nach Boltenhusen? Alle Spekulationen nutzten nichts. Der Moment war gekommen, sich ein für alle Mal Klarheit zu verschaffen.
«Sagen Sie der Dame, dass ich dort sein werde», sagte Paulina.
Sie sah Christian zu ähnlich, als dass sie seine Gattin hätte sein können. Die junge Dame, die am Torhaus auf Paulina wartete, hatte die gleichen bernsteinfarbenen Augen wie der Grafensohn. Auch ihre edlen Gesichtszüge und der Goldton ihres Haars verrieten sofort, was sie der Ankommenden im nächsten Moment mitteilte.
«Ich bin Karoline von Bahro, Christians Schwester», empfing sie Paulina und blickte leicht nervös um sich. «Wir müssen uns kurz fassen, denn in dieser Stadt
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