Die Seidenbaronin (German Edition)
Liebe begangen habe? Glauben Sie wirklich, dass ich mich vor Ihnen für mein Verhalten rechtfertigen muss? Nun, dann befinden Sie sich im Irrtum! Ich habe mir nichts vorzuwerfen!»
Christian schwieg immer noch.
Paulina konnte nicht aufhören, ihrem Herzen Luft zu machen. «Ahnen Sie auch nur, wie sehr ich unter dem Ende unserer Liebe gelitten habe? Nachdem Ihr Vater mich zutiefst gedemütigt hatte und Sie mich nicht mehr wollten, stand ich völlig allein und mittellos da! Ich bin so tief gefallen, dass ich mich mit einem Bürgerlichen verheiraten musste. Das alles konnte ich irgendwie ertragen. Aber eines werde ich niemals vergessen können … hören Sie, niemals … dass meine Großtante in dem Glauben sterben musste, ich hätte nichts mehr von ihr wissen wollen!»
Ohne seine Antwort abzuwarten, rauschte Paulina davon. Mit zornigem Gesicht lief sie durch den Salon, blind für die verwunderten Blicke der Baroness von Mahringen und der beiden hannoverschen Offiziere. Sie merkte kaum, dass die Gräfin Heimroth ihre Konversation unterbrach und sich ihr mit bestürzter Miene an die Fersen heftete.
Paulina durchquerte die Eingangshalle, sprang an verblüfften Pagen vorbei die Stufen der großen Freitreppe hinunter und hastete zu ihrer Kutsche. Sie rüttelte heftig an dem eingenickten Kutscher, der verschreckt die Augen öffnete und sich gähnend aufrichtete, als er seine Herrin erkannte.
Paulina kletterte in den Wagen und ließ sich auf die Bank fallen. Sie befahl dem Kutscher, augenblicklich loszufahren. Erst als die Kutsche den Schlosshof verließ, atmete sie auf. Plötzlich bemerkte sie, wie kalt ihr war, und sie stellte verärgert fest, dass sie in all der Aufregung ihren Mantel vergessen hatte.
Kapitel 28
Boltenhusen, Oktober 1794
«Herr von Bahro ist schon wieder hier, gnädige Frau», sagte der Diener zaghaft. «Er bittet Sie inständig, ein paar Worte zu Ihnen sagen zu dürfen.»
Paulina, die in einem Lehnstuhl am Fenster saß und in den Park hinausstarrte, drehte sich nicht einmal zu dem Mann um.
«Sind Sie mein Untergebener oder der des Herrn von Bahro? Sie wissen genau, dass ich mit dem Anliegen dieses Herrn nicht mehr belästigt werden möchte. Irgendwann wird er es schon leid werden, andauernd hier aufzutauchen.»
Der Diener zog sich leise zurück, und Paulina erhob sich aus ihrem Stuhl. Nervös ging sie im Zimmer auf und ab.
Wie lange würde sie dieses Spiel noch aushalten können? Seit einer Woche kam Christian täglich nach Boltenhusen, das immerhin eine halbe Tagesfahrt von Schloss Bahro entfernt lag, und verlangte, sie zu sprechen. Mehrmals war sie schon kurz davor gewesen, ihn schließlich doch zu empfangen. Da sie jedoch fürchtete, sich ihm in ihrer tiefen Verzweiflung und Einsamkeit an den Hals zu werfen, wenn sie ihm gegenüberstand, verwarf sie den Gedanken immer wieder. Außerdem hatte sie noch die Worte ihres Verwalters im Ohr, der bei Christians erstem Besuch wie beiläufig bemerkt hatte, dass man den Namen Bahro in Boltenhusen seit vielen Jahren nicht mehr zu erwähnen gewagt habe.
Paulina fühlte eine tiefe Trostlosigkeit. Zudem hatte sie am Tag zuvor einen Brief von ihrem Schwiegervater mit beunruhigenden Nachrichten erhalten. Die französischen Truppen standen bereits am Niederrhein. Auch Kronwyler und seine Familie hatten Crefeld mittlerweile verlassen und waren nach Blommersforst übergesiedelt. Geschäftshaus, Lager und Färberei des Unternehmens Kronwyler Sohn und von Ostry lagen verlassen, Erldyk war einem Verwalter überlassen worden.
Die Begegnung mit Christian hatte Paulina völlig aus der Bahn geworfen. So ging es nicht weiter. Sie musste der Sache ein Ende machen, und zwar sofort.
Entschlossen schritt sie zur Tür und verließ das Zimmer, in das sie sich seit Tagen mit ihren Grübeleien zurückgezogen hatte. Wenig damenhaft lief sie durch die Gänge des Schlosses in den Hof hinaus. Von Christians Kutsche war jedoch nur noch eine entfernte Silhouette zu sehen, die bald darauf am Ende der Schlosszufahrt verschwand.
«Sagen Sie Franz, er möge sofort anspannen lassen!», befahl Paulina dem Diener, der ihr erstaunt gefolgt war. «Er soll einen kleinen Wagen nehmen, mit dem wir möglichst schnell sind.»
Kaum eine halbe Stunde später fuhr ein Zweispänner aus dem Boltenhusener Park hinaus.
«Holen Sie den Wagen des Herrn von Bahro ein!», befahl Paulina ihrem Kutscher. «Er wird auf dem Weg zurück zu seinem Schloss sein .»
Nach einer guten Stunde Fahrt erreichte
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