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Die seidene Madonna - Roman

Die seidene Madonna - Roman

Titel: Die seidene Madonna - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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keine Sekunde ließ sie sich von dem Gedanken abhalten, dass sie ihre große Zufriedenheit dem Tod eines Kindes verdankte.
    Sie lachte nicht, aber sie weinte auch nicht. Stattdessen setzte sie sich an ihren Schreibtisch, überlegte einen Augenblick und schrieb dann folgende Worte in ihr Tagebuch: »Anne, Königin von Frankreich, hat am Namenstag der heiligen Agnes, dem 7. Januar, einen Sohn zur Welt gebracht, der aber den Ruhm meines kleinen Cäsars nicht aufhalten konnte, weil er nicht lebensfähig war.«

24
    Die Stadt Lille weckte in Alix nur düstere Erinnerungen. Hier hatte man sie im Alter von sechzehn Jahren auf Befehl ihres widerwärtigen Schwiegervaters, dem sie wohl bald begegnen würde, ins Gefängnis geworfen. Die Aussicht auf seinen kalten, herrschsüchtigen Blick erfüllte sie mit Schaudern. Und da sie es bald mit so vielen unehrenhaften, heuchlerischen Gegnern zu tun haben würde, die keinerlei Skrupel kannten, schien es nicht übertrieben, wenn sie bereits im Voraus vor Angst zitterte.
    Ihre Hoffnung, ein ausgedehnter Spaziergang an der Deûle könnte ihren Nerven gut tun, erwies sich leider als falsch. All die Orte, die sie von früher kannte, riefen nur böse Erinnerungen in ihr wach. Sie fühlte sich angespannt, ängstlich und wie getrieben von innerer Unruhe.
    Es war helllichter Tag, als sie Angela und Leo vor dem Haus der Leinweber allein ließen, das diese der Webergilde für ihre Jahresversammlung zur Verfügung stellten. Im Gegenzug öffneten sich die Pforten des Arbre d’or , des Sitzes der Tapissiers von Brüssel, der Leinweber aus dem Norden, wenn die hier ihre jährliche Zusammenkunft abhielten.
    Nachdem Alix ihren Namen und den Grund ihres Besuchs angegeben hatte, fuhr der Pförtner mit dem Finger eine ziemlich kurze Liste entlang, um sie dann mit seinen großen runden Augen anzusehen.
    »Dame Alix Cassex. Ihr seid früh dran! Ihr dürft in den großen Saal am Ende des Ganges.«

    Der Saal war in der Tat riesengroß und vollgestellt mit langen Tischen. In der Mitte hatte man Platz für einen Durchgang gelassen. Als sie die drei Männer entdeckte, die am Ende von einem der Tische saßen, erstarrte Alix. Sie hatte ihre drei ärgsten Feinde vor sich. Selbstgefällig und mit einem hämischen Lächeln auf den Lippen erwiderten sie ihren Blick.
    Der Mann am Kopfende, der sie mit seinen schwarzen stechenden Augen anstarrte, war der Weber Mortagne aus Tours. Alix und Bruder André waren der Überzeugung, dass er für die Brandstiftung in ihren Werkstätten verantwortlich war, hatten ihm das aber aus Zeit- und Beweisnot nicht nachweisen können.
    Rechts neben ihm saß der ohne Frage berühmte Maler Van Thiegen, dem Alix durch einen unglücklichen Zufall bei einer Jagd von Königin Anne im Wald von Amboise begegnet war.
    Der dritte Mann hieß La Tournelle und war der Schlimmste von allen, weil es ihm um seine Ehre ging, und Gott allein weiß, wie sehr die wenigen Frauen, die sich in der Berufswelt der Männer behaupten wollten, auf ihre Ehre bedacht sein mussten.
    La Tournelle war ein kleiner Landadeliger, der geschickt seine Geschäfte mit der Hochweberei machte, nachdem er sich eine solide Position unter den flämischen Geldleuten erobert hatte und niemals die Finanzierung eines bedeutenden Auftrags ablehnte.
    Alix hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und entdeckte zwei andere junge Leute, die vermutlich aus dem gleichen Grund wie sie da waren. Auch sie wirkten schüchtern und schienen sich unbehaglich zu fühlen; außerdem waren sie überrascht, hier eine Frau anzutreffen, entschlossen sich dann aber doch, ihr zuzulächeln und sich zu ihr zu gesellen.
    Bald darauf erschienen weitere Mitglieder der Prüfungskommission, die neben ihren Feinden am Kopfende des Tisches Platz
nahmen. Es handelte sich um den Richter und seine Beisitzer, wie Alix ihrem Gespräch entnehmen konnte. Sie benahmen sich sehr ernst und würdigten weder Alix noch ihre zwei jungen Landsleute eines Blickes.
    Alix und die beiden jungen Männer wussten nicht recht, ob sie sich setzen sollten, blieben dann aber doch in einer Ecke des großen Saals stehen und warteten ab. Alix zog diesen Platz auf jeden Fall vor, weil sie annahm, von dort aus besser die Männer beobachten zu können, die gleich ihre Arbeit beurteilen sollten.
    Sie musste an Jacquou denken, der auch diese Augenblicke voller Angst erlebt hatte. Doch selbst wenn er vielleicht genauso gezittert hatte wie sie, hatte er sich doch mit der herzlichen und beruhigenden

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