Die seidene Madonna - Roman
meistern.
Er würde sich schon an die französischen Straßen gewöhnen, so wie er sich auch an die spanischen gewöhnt hatte, dachte sich Alix. Und er würde die Jahreszeiten in dem milden Klima des Val de Loire kennen oder wieder kennenlernen - schließlich war er in den französischen Pyrenäen geboren.
Alix war also sehr froh, dass sie ihn engagiert hatte. Jacquou hatte der junge Mann ebenfalls auf den ersten Blick gefallen, und er war sofort einverstanden gewesen, dass sich seine Frau wieder auf Auftragssuche begab. Deshalb hatte man dann auch noch die junge Lisette einstellen müssen, die der Bertille bei der Hausarbeit helfen sollte.
Als frühere Kammerzofe und Weißnäherin von Königin Anne fühlte sich Lisette wohler, wenn sie ihre Nase in die Wäschetruhen stecken konnte, um die Kleider ihrer neuen Herren aufzuräumen, als mit den Töpfen und Schüsseln in der Küche. Also teilte die Bertille die Arbeit zwischen ihr und der jungen Dienerin gerecht auf und machte einen klaren Trennstrich: Lisette hatte sich um die Hauswirtschaft, die Wäsche und das Aufräumen und Reinigen der Zimmer zu kümmern, während die Bertille die Einkäufe machte und kochte.
Und Juan hatte die beiden Pferde vollkommen im Griff. Der Araberhengst, den sie Hector getauft hatten, wollte zwar gleich von Anfang an mit lautem Gewieher und heftigem Ausschlagen über Juan bestimmen; der hatte ihm aber sofort klargemacht, wer von den beiden das Sagen hatte. Gauthier war außerdem der Meinung, dass man dem Hengst eine Stute geben sollte, damit er wusste, wohin mit seinen überschüssigen Kräften.
Jacquou schlug also vor, eine brave, gelehrige kleine Stute zu kaufen, woraufhin Pierrot gleich anmerkte, dass er auf dem Pferdemarkt ein schönes weißes Stutenfohlen entdeckt habe, das gar nicht sehr teuer war. Weil Alix aufgebrochen war, ehe man die Frage geklärt hatte, rechnete sie damit, bei ihrer Rückkehr das Fohlen im Stall vorzufinden.
Juan war also kaum angestellt und schon verantwortlich für drei Pferde und vier Maultiere. Als Erstes musste der Stall vergrößert werden, was auf dem großen freien Gelände hinter dem Haus ohne Schwierigkeiten zu machen war. Bestellungen gab es genug, das Gespann war komplett, Personal stand ausreichend zur Verfügung, und Alix sah hoffnungsvoll in die Zukunft.
Wenn sie in diesem gleichmäßigen, flotten Tempo weiterfuhren, erreichten sie Chartres bestimmt noch vor Einbruch der
Nacht. Seit einigen Stunden schon gab sich Alix müßig ihren Gedanken hin, was sie sonst gar nicht gewohnt war.
Eine warme Sonne stand am heiteren Himmel, der so blau war wie die azurblauen Streifen, die sie webte. Und auf den Feldern, an denen sie vorbeikam, leuchtete das goldene Korn mit seinen reifen Ähren und wartete auf die Mäher, die es umschneiden und zu dicken Garben für den Wintervorrat bündeln sollten.
Doch noch immer drohten schwere Unwetter, und sobald der Abend kam, wurde die Luft so schwül und der Himmel so finster, dass man glauben konnte, die Nacht bräche früher herein als erwartet.
Alix musste wieder einmal feststellen, dass ihr Jacquou fehlte. So war das jedes Mal, wenn sie zu einer Geschäftsreise aufbrach.
Weil sie noch nicht von der Gilde anerkannt war, hatte sie noch keine Stimme bei den verschiedenen Versammlungen der Weberzunft, die in Tournai, Arras, Oudenaarde, Lille, Brüssel und in Brügge selbst abgehalten wurden. In all diesen historischen Tapisseriehochburgen waren nur Mitglieder zugelassen. Deshalb kam diese Aufgabe eigentlich Jacquou zu.
Ihr Mann war zwar ein guter Meister, mochte aber weder reisen, noch mit den Kaufleuten verhandeln, gegen die man sich oft mühsam behaupten musste. Wer hätte schon geahnt, dass Alix eines Tages verhandeln, anpreisen, feilschen und die Waren aus ihren Werkstätten anbieten würde! Als die schüchterne und ängstliche kleine Alix ihren Jacquou geheiratet hatte, war sie immer größer geworden wie ein schwacher Strauch, der kräftige Wurzeln ausbildet, bis ihm starke Äste wachsen.
Ob sie wohl in der Lage wäre, immer neue Kundschaft für die Werkstatt zu finden, wenn die großen königlichen Aufträge erst einmal ausgeführt und ausgeliefert waren? Wenn sie durch solide
Arbeit ihren guten Ruf mehrten, gab es eigentlich keinen Grund zur Besorgnis, sagte sich Alix. Schon bald würden sie das volle Vertrauen der Wolle-, Seide- und Goldfadenmanufakteure, der Tuchmacher und der Färber genießen. So wurde eine neue kleine Werkstatt eben allmählich
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