Die Seidenstickerin
sie zum Herd, in dem ein schönes Feuer brannte, und nahm den großen Kessel mit der kochenden Suppe vom Haken.
»Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich mache«, platzte Alix plötzlich heraus.
»Was denn?«, fragten Arnaude und ihr Mann überrascht.
»Ich gehe zu Dame Bertrande und erzähle ihr alles. Sie ist die Einzige, die mir helfen kann, Jacquou zu finden. Sie weiß bestimmt, wo er ist. Und sie wird es mir sagen.«
»Du willst doch nicht etwa mit deinem Esel dahin?«, rief die arme Arnaude ganz entsetzt über so viel Unvernunft. »Du brauchst ja Monate, bist du in Nantes bist. Und wovon willst du leben?«
»Ich habe ein bisschen Geld, die Gräfin d’Angoulême hat mir eine gut gefüllte Börse geschenkt.«
Doch verließ sie ihre Begeisterung ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, und sie brach wieder in Tränen aus.
»Jesus Maria! Meine kleine Alix«, sagte Arnaude und wiegte sie in den Armen, »wie empfindlich du bist. Und dabei warst du früher so tapfer! Fehlt dir dein Jacquou denn so sehr?«
»Ja, ohne ihn kann ich gar nichts anfangen«, schluchzte Alix. »Ich kann nichts dafür, es ist einfach so.«
»Dann müssen wir jetzt eben überlegen, wie du am schnellsten nach Nantes kommst.«
»Pass auf«, meinte Arnold. »Morgen ist mein freier Tag. Ich gehe nach Saint-Martin und frage, ob demnächst eine Pilgergruppe nach Sainte-Anne d’Auray aufbricht. Denen könntest du dich anschließen.«
»Das dauert viel zu lange, Arnold, selbst wenn sie morgen aufbrechen würden. Außerdem weiß ich, dass die Pilger jeden Abend in einer Kirche Halt machen. Wenn ich mich ihnen anschließe, brauche ich einen oder zwei Monate, bis ich in Nantes bin. Wenn ich mich allein mit Amandine auf den Weg mache, sind es etwa drei Wochen.«
»Wir gehen jetzt zu Meister Gauthier und fragen ihn«, sagte Arnold plötzlich zufrieden. »Er hat bestimmt einen guten Rat für dich.«
»Jetzt sofort?«
»Aber ja. Essen können wir auch noch später.«
Als Entschuldigung, weil er seine Frau allein lassen wollte, ging Arnold zu ihr und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Backe.
»Ich wiege inzwischen den kleinen Guillemin in den Schlaf, bis ihr wiederkommt«, sagte Arnaude und verschwand im Nebenzimmer, wo das Kind nach seiner Mutter verlangte.
Bei winterlich anmutendem Wetter machten sich Arnold und Alix sofort auf den Weg. Es war bereits Nacht, ein kalter Wind wehte, von einem unangenehmen Sprühregen begleitet, und zu dieser späten Stunde waren die Straßen der Stadt schon längst menschenleer.
»Seit die Frau von Meister Gauthier gestorben ist, lebt er mit seiner Mutter zusammen«, erklärte Arnold. »Er bräuchte wirklich etwas Gesellschaft!«
Gauthiers Haus war nicht weit weg von Coëtivys Werkstatt, und Arnold klopfte laut an die Tür. Eine alte Frau machte ihnen auf. Sie ging gebückt von den Jahren und stützte sich auf einen Gehstock aus Olivenholz. Als sie die beiden Besucher sah, wollte sie sich eigentlich aufrichten, verzog aber gleich vor Schmerz das Gesicht und bückte sich wieder.
»Ist Meister Gauthier zuhause? Ich bin Arnold. Kennt Ihr mich noch?«
»Aber ja, der kleine Arnold aus der Werkstatt!«, rief die alte Frau. »Und ob ich dich kenne, mein Junge. Du bist aber groß geworden! Und wer ist die Frau, die du da dabeihast?«
Gauthiers Erscheinen ersparte Arnold die Antwort. Mit einem Ungestüm, das ihrer Jugend alle Ehre machte, stürzte sich Alix auf ihn.
»Meister Gauthier, ich flehe Euch an! Lasst mich nicht im Stich und sagt mir, wo Jacquou ist!«
»Ich dachte mir schon, dass du eines Tages kommen und an meine Tür klopfen würdest, um nach ihm zu fragen.«
Mit einer Handbewegung forderte er sie auf hereinzukommen und führte sie in den großen Raum, der Arbeitszimmer und Wohnzimmer zugleich war. Überall an der Decke, den Wänden und in allen Ecken hingen staubige, muffig riechende Trockenblumen; dazu kam der säuerliche Geruch eines Desinfektionsmittels, mit dem die alte Frau wohl vor kurzem den Boden gewischt hatte. Zum Glück duftete es auch noch nach Bienenwachs, wodurch das Zimmer nicht ganz so vermodert wirkte.
»Leider weiß ich nichts von Jacquou, meine arme Kleine. Und das kannst du mir wirklich glauben, weil ich nicht mal erfahren habe, wo er arbeitet. Wie du dir denken kannst, hätte Coëtivy viel zu große Angst, ich könnte etwas verraten.«
»Das glaube ich Euch«, sagte Alix weinerlich.
»Hör zu, meine Kleine, weil ich wirklich sehr zufrieden mit dir war, will ich dir
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