Die Seidenstickerin
Käufer wurde, kam der Handwerker zu ihm und versuchte ihn zu ködern, indem er seine Ware über den grünen Klee lobte.
Der Laden der Witwe Le Guennec sah aus wie alle anderen in der Straße. Vor den Fenstern im Erdgeschoss gab es einen großen Fensterladen, der tagsüber heruntergelassen wurde und als Auslage diente, und spätabends hochgeklappt wurde, um das Geschäft abzuschließen. Es war ein Geschäft für Kurzwaren aller Art. Dame Le Guennec verkaufte aber gelegentlich auch Strumpfwaren, Bänder, Spitzen und Tuchwaren.
Dame Bertrande und Dame Le Guennec waren seit Kindesbeinen befreundet, und während die eine mit achtzehn Jahren Meister Coëtivy heiratete, verliebte sich die andere in einen Tuchhändler, der wie damals üblich auch Wamse und Umhänge für Herren schneiderte. Leider starb der gute Mann aber kurz nach ihrer Hochzeit. Ein Wagen überfuhr ihn, und die Pferde gingen durch und schleiften ihn mit sich, bis nur noch ein zuckender, lebloser Körper von ihm übrig war.
Von da an kümmerte sich die Witwe Le Guennec allein um ihr Geschäft.
Und wie gut das die Kurzwarenhändlerin machte! Die Ware war sorgfältig in gewachsten Holzregalen sortiert, gestapelt, aufgereiht und geordnet, und in dem Raum hinter dem Laden fand sich alles, was die Kunden wünschten: Feinste Kurzwaren en detail und en gros! Dame Le Guennec besaß sogar noch einige unverkaufte Stoffe aus der Zeit ihres verstorbenen Gatten, mit denen sie von Zeit zu Zeit eine betagte Kundin glücklich machen konnte, die dem vergangenen Jahrhundert nachtrauerte.
Bei der Witwe Le Guennec gab es sämtliche Arten von Fäden und Garnen zu kaufen – Wollfäden, Leinenfäden und Seidenfäden. Etwas versteckter hatte sie sogar einige kleine Rollen mit Silberfaden auf Lager. Es gab Bänder, Spitzen, Kordeln, Schnürbänder aller Art und Mantel-, Wams- und Umhangschnallen aus Schildpatt oder Silber, manchmal sogar aus Gold oder Bronze; die kamen aber nicht in die Auslage, sondern waren in kleine Kästchen gesperrt, die sie ganz hinten in ihrem Laden aufbewahrte.
Ellenlange Tuchballen stapelten sich in den Regalen. Baumwolle, Samt und Seide, Zwillich und Barchent – Witwe Le Guennec hatte alles im Angebot. Bei ihr konnte man sogar Nähnadeln, Scheren, Stecknadeln und so ziemlich alles kaufen, was man sonst noch zum Nähen und Sticken brauchte.
»Dann kennst du also Gaëlle Le Floch, meine Kleine?«
»Ja, Madame, sie war eine der besten Freundinnen meiner Mutter«, antwortete Alix.
»Ach, ja, deine Mutter! Weißt du eigentlich, dass ich sie zweioder dreimal getroffen habe, als ich meine Familie in Nantes besucht und in Meister Yanns Werkstatt mein Sortiment an Spitzen ergänzt habe? Aber ich war schließlich mit dem Kaufmann Le Guennec verheiratet und musste so schnell wie möglich zu ihm zurück nach Paris.«
Sie redete schnell und viel und überhäufte Alix mit Wörtern und Sätzen, die manchmal unvollendet blieben, weil sie sich im Labyrinth ihrer Gedanken verirrt hatte.
»Und wie geht es Bertrande de Coëtivy? Erzähl mir von ihr, wenn sie dich schon zu mir schickt. Das wird aber wohl in Ordnung sein, mir scheint, du bist ein nettes Mädchen. Also, was ist aus ihr geworden?«
Ohne abzuwarten, was Alix über ihre gute alte Freundin berichten konnte, wandte sie sich zur Tür, die gerade vorsichtig geöffnet wurde.
»Ah, da kommt Florine!«
Dame Le Guennec stand auf und wirkte in ihrem purpurroten Faltenrock mit dem passenden Unterkleid aus Seidenbrokat noch sehr stattlich. Mit ihren schmalen weißen Händen, ihrer zierlichen Taille und dem schönen Gesicht hätte sie gut und gern als Dame eines vornehmen Herrn auf einem dieser Mille-Fleurs-Teppiche durchgehen können, die damals noch sehr in Mode waren.
»Komm herein, Florine! Ich möchte dir Alix vorstellen. Sie will nach Flandern, um dort ihren Mann zu treffen. Meine gute alte Freundin Bertrande aus Nantes, von der ich dir schon so viel erzählt habe, hat sie mir anempfohlen. Sie soll bei mir bleiben, bis sie – genau wie du – mit den Tuchhändlern reist, die sich vom Boulevard Saint-Marcel aus wieder auf den Heimweg nach Norden machen.«
Florine war ein hübsches sechzehn Jahre altes Mädchen mit Porzellanaugen und feinen blonden Haaren, die sie unter einer schwarzen Samthaube versteckte. Ihr Gesicht war von so makelloser Schönheit, dass sich auch noch der anspruchsvollste Maler dafür begeistert hätte.
»Florine ist meine Nichte«, erklärte Dame Le Guennec. »Ihr könnt die Reise
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