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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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der Gaul durchgegangen.
    »Eure Verführungskünste beeindrucken mich nicht, Meister Coëtivy. Und mit dieser erbärmlichen Verleumdung könnt Ihr mich auch nicht bei Jacquou schlechtmachen.«
    Coëtivy machte ein paar Schritte zurück und ging zur Tür. Sein großartiges Auftreten war mit einem Mal dahin, und Alix fand ihn plötzlich lächerlich und sehr gewöhnlich.
    »Ich gebe dir drei Tage Bedenkzeit«, sagte er und griff nach der Türklinke. »Dann komme ich wieder. Man wird dir Milch, Brot, Obst und Speck bringen.«
    »Es gibt aber nichts zu bedenken, Meister Coëtivy. Unsere Ehe hat ein Kardinal geschlossen, sie hat den Segen des Vatikans. Nichts und niemand kann sie lösen – schon gar nicht Ihr mit Euren finsteren Plänen!«
    »In drei Tagen komme ich wieder und erwarte deine endgültige Antwort«, sagte er nur und ging ohne weitere Worte.

17
     
    Alix lag schon stundenlang wach und konnte einfach nicht mehr einschlafen. Immer wieder ging sie im Kopf alle Möglichkeiten durch, wie sie aus diesem verdammten Gefängnis fliehen könnte, in dem sie Coëtivy gefangen hielt. Aber außer zwischen Fenster und Tür hin und her zu laufen, fiel ihr nichts ein. Es gab einfach keinen Ausweg.
    Plötzlich hörte sie ein Geräusch an der Wand. Alix spitzte die Ohren, versank dann aber wieder in dem Traum, den sie weiterträumen wollte, weil er ihr ein wenig Mut machte, den sie so dringend brauchte. Sie war mit ihrem geliebten Jacquou zusammen, der sie in die Arme nahm, küsste und liebte …
    Als Alix dann doch beinahe weggeschlummert wäre, hörte sie wieder dieses seltsame Geräusch und lief ans Fenster. Aber der tiefe Graben zeigte ihr nur aufs Neue, dass sie unausweichlich in der Falle saß. Da war nichts. Die Flügel der verlassenen alten Windmühle drehten sich schon lange nicht mehr, und Alix war vollkommen verzweifelt.
    Die Tür gegenüber dem kleinen Fenster, durch das sie wegen dem Wassergraben nicht fliehen konnte, war verbarrikadiert. In zwei Tagen würde Meister Coëtivy wiederkommen und sich ihre Antwort abholen – aber Alix blieb dabei, dass sie sich auf keinen Fall scheiden lassen wollte. Jacquou war ihr Mann, und das sollte er auch bleiben.
    Horch, da war wieder dieses leise Geräusch! Als würde jemand ein Steinchen gegen die Mauer werfen. Ja, natürlich! Das war ein Steinchen. Diesmal hatte es das Fenster getroffen. Alix stürzte hin, ihr Herz klopfte wie wild, und sie sah einen Schatten, der dicht an der Innenseite des Wassergrabens entlangglitt.
    Tatsächlich, ihr Herz schlug wie wild. Da war ein Kahn, in dem eine Gestalt hockte, die sie nicht richtig erkennen konnte. Sie sah sich im Zimmer um, fand aber nichts, was sie aus dem Fenster hätte werfen können, um zu zeigen, dass sie begriffen hatte. Nichts außer dem neuen Stück Brot, das ihr ein Wärter, den sie nicht zu Gesicht bekommen hatte, jeden Morgen mit einem Krug Milch brachte.
    Egal, dann musste sie eben das Brot aus dem Fenster werfen. Wenn die Sache schiefging, hätte sie dann allerdings den ganzen Tag nichts zu essen.
    Sie beugte sich aus dem Fenster, damit sie besser sehen konnte. Zum Glück war es nicht vergittert! Vermutlich weil einem der Graben jede Lust auf einen Fluchtversuch nahm. Der Kahn drückte sich noch immer an die Wand, was sehr danach aussah, als ob der Ruderer unbemerkt bleiben wollte.
    Alix zögerte nicht länger und warf ihr Brot dorthin, wo sich das kleine Boot versteckte. Als sie ein »Platsch« hörte, wusste sie, dass es auch der Unbekannte bemerkt haben musste. Gleich darauf fuhr der Kahn auf sie zu. Der Mann in dem Boot trug einen weiten Mantel, der ihn von Kopf bis Fuß bedeckte.
    Ohne einen Mucks, damit ihn niemand entdecken konnte, ruderte der Unbekannte mit wenigen Schlägen unter ihr Fenster und hielt dort an. Dann schaute er nach oben, zeigte erst mit dem Arm auf Alix und dann mit dem Zeigefinger nach unten auf das Wasser, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie springen musste, wenn sie fliehen wollte.
    Natürlich wollte sie springen, und zwar ohne zu zögern. Sie hatte viel zu viel Angst, dass irgendetwas dazwischenkommen und den Fluchtversuch vereiteln könnte, den ihr der unbekannte Befreier ermöglichen wollte. Sie machte sich ganz dünn und schlängelte sich wie eine Liane durch die kleine Öffnung, den Kopf voraus, dann eine Schulter nach der anderen und schließlich mit dem Oberkörper. Als sie den fürchterlichen Graben sah, dessen dunkle Wasser nichts Gutes verhießen, wurde ihr schwindlig. Der

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