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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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könnte; auch wenn noch gar nicht absehbar war, was sich daraus entwickeln würde, konnte diese Veränderung für ihre Kinder nur von Vorteil sein.
    In diesem Sinne wollte sie sich an diesem Abend auch nicht durch den jungen Lehrer von ihren Zielen ablenken lassen.
    »Diesen Abschied, der mich Eurer Gegenwart beraubt, werde ich bestimmt niemals vergessen«, seufzte Saint-Gelais. Und als die Gräfin nicht antwortete, fuhr er mit zutiefst melancholischer Stimme fort: »Das meine ich ernst, Louise.«
    »Ich weiß, Jean«, sagte sie leise.
    Saint-Gelais stand mit hängenden Armen vor ihr und wagte nicht auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag. Louise sah ihn zärtlich an.
    »Ich muss noch einige Sachen packen, dann sehe ich nach meinen Kindern und sage ihnen Gute Nacht. Anschließend komme ich Euch besuchen. Wartet auf mich, Jean. Ich werde heute bestimmt nicht so bald schlafen wollen.«
    Saint-Gelais war perplex, wie überstürzt und ungewohnt der Abend verlief, und spürte, dass Louise völlig von ihren Gedanken beansprucht war.
    Seit sie am Morgen von der Entscheidung des Königs erfahren hatte, war die Gräfin verstört. Louis, der Cousin ihres verstorbenen Gatten und König von Frankreich, hatte sie an den Hof gerufen. Wie würde sie sich nun entscheiden? Jean stellte sich tausend Fragen, die alle unbeantwortet blieben.
    Seit die Gräfin d’Angoulême begriffen hatte, dass Louis XII. aus Sorge um die Valois gar nichts anderes übrig blieb, als auf den kleinen François zu setzen, fühlte sie sich erleichtert und bedrückt zugleich.
    Ihr Herz wog schwer wie eine Kanonenkugel und klopfte wie wild, weil sie ab sofort auf alles verzichten musste, was ihrem Auftreten schaden konnte. Als Mutter des zukünftigen Thronerben durfte sie kein sorgloses Dasein führen.
    Der neue König schenkte ihr sein Vertrauen. Natürlich wollte sie kämpfen, aber sie würde ihn nicht enttäuschen. Natürlich wusste sie, dass sie beim geringsten Widerstand ihrerseits ihren Sohn und vielleicht sogar auch ihre Tochter verlieren würde. Gütiger Himmel! Nein, auf keinen Fall wollte sie die gleichen Fehler wie ihr Mann begehen, der sich viel zu lange gegen die Interessen des Hofs gestellt hatte.
    Wenn ihr auch bewusst war, dass Louis XII. seit seiner Thronbesteigung, mehr noch als beim Tod ihres Gatten, seine Rechte überschritten hatte, wollte sie doch nicht rebellieren, obwohl er sogar in ihrem Privatleben schnüffelte und alles, aber auch wirklich alles über die kleine Familie d’Angoulême erfahren wollte.
    Im Gegenzug hatte Louise nun endlich keine finanziellen Sorgen mehr. Plötzlich drehte sich alles nur noch um den kleinen François. Damit er eine seinem Rang angemessene Erziehung erhielt, überwachte der König Louise streng, stattete sie aber auch mit einer jährlichen Pension aus, mit der sie gut auskommen konnte. Die Pension gestattete ihr zwar kein Leben im Überfluss, war aber doch ansehnlich genug, dass sie ihr Schloss unterhalten und sich ihrer Stellung entsprechend versorgen konnte.
    Weil sich die Gräfin d’Angoulême über das Ausmaß dieser Vorteile im Klaren war, erzog sie ihre Kinder nicht nur mit Liebe und Zärtlichkeit, sondern auch in der sicheren Überzeugung, dass ihr Sohn eines Tages zum König von Frankreich geweiht würde. Davon konnte sie nichts und niemand abbringen. Kein Hindernis, das sich in den Weg stellte, nahm ihr diese Gewissheit, und ihr ganzes Handeln war einzig und allein auf dieses Ziel gerichtet.
    »Woran werdet Ihr wohl denken, wenn ich nicht mehr an Eurer Seite bin?«, fragte Saint-Gelais ergeben.
    »Das wisst Ihr doch, Jean. Ihr wart mein Freund und Vertrauter, und ich werde die schönen Stunden nicht vergessen, in denen wir uns mit Musik und Poesie beschäftigt haben.«
    »Ist das denn alles, was von uns bleibt?«, fragte er jetzt voller Angst.
    Louise nahm seine Hand.
    »Nein, gewiss nicht. Natürlich werde ich mich auch noch an andere herrliche Stunden erinnern, die wir Seite an Seite verbracht haben.«
    »Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, auf dieses neue Leben zu verzichten, das Euch Louis in Amboise anbietet?«
    »In Chinon, Jean«, wies sie ihn sanft zurecht.
    »Chinon oder Amboise – was spielt das schon für eine Rolle! Tatsache ist doch, dass der König Euch für den Rest Eures Lebens auf irgendeinem Schloss festhalten will, das nicht Euer Schloss in Cognac ist.«
    »Aber, Jean, das haben wir doch schon tausendfach besprochen. Mein Leben ist der Zukunft meines Sohnes gewidmet.

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