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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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ihr standen, und so geschmeidig wie die Ranken der roten Kletterrosen, die gerade noch ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatten.
    Ihr heller, fast milchweißer Teint betonte die seltsam grün funkelnden Augen, die sich nur vom Anblick ihrer Kinder besänftigen ließen. Und ihre Gesichtszüge wirkten jung und frisch – die beiden Mutterschaften hatten ihr nicht geschadet.
    François warf sich ungestüm in die Arme seiner Mutter, die ihn zärtlich begrüßte.
    Marguerite war nicht so stürmisch und hauchte nur einen flüchtigen, wohlriechenden Kuss auf die Wange ihrer Mutter.
    Ihre Kinder rechts und links neben sich wandte sich die Gräfin d’Angoulême an den Hauslehrer, der schon zweimal nach ihnen gerufen hatte.
    Der lächelte nachsichtig und sah Louise so zärtlich an, dass man das vielleicht anderswo unangebracht gefunden hätte. Aber auf dem alten Schloss von Cognac gab es keine entrüsteten Kommentare; jeder hatte die Freiheit, nach Gutdünken zu denken und zu handeln.
    »Eben habe ich eure Lateinstunde abgesagt«, sagte Louise und nahm ihre Kinder an der Hand. »Monsieur de Saint-Gelais schließt sich meiner Meinung an. Heute Abend müsst ihr früh zu Bett.«
    »Bis morgen ist es doch noch so lang hin, Mutter! Müssen wir denn so früh aufstehen?«, fragte das Mädchen.
    »Sobald es Tag wird, meine Liebe. Auch wenn es nicht sehr weit ist, haben wir doch unsere Anweisungen«, antwortete die Gräfin und erwiderte liebevoll den Kuss, den ihr Marguerite gegeben hatte.
    »Hat Euch diese Anweisungen Louis diktiert, unser Cousin?«
    »Louis XII., Marguerite. Vergiss bitte nicht, dass unser Cousin der König von Frankreich ist. Ab sofort müsst ihr ihn Sire nennen und mit größter Zuvorkommenheit behandeln. So vertraulich wie bisher kannst du jetzt nicht mehr mit ihm umgehen.«
    Sie streichelte die beiden Hunde und fuhr dann, an Saint-Gelais gewandt, fort:
    »Versucht doch bitte, die Hunde ein wenig zu beruhigen, Jean. Hapaguai macht François immer genau dann munter, wenn es Schlafenszeit ist, und Prunelle führt sich jedes Mal schrecklich auf, wenn Marguerite sie nicht in ihr Zimmer lässt.«
    Sie erhob sich, und der junge Hauslehrer war wie immer von ihren anmutigen Bewegungen entzückt.
    »Die Hunde schlafen heute Nacht nicht bei Euch, Kinder.«
    »Aber, Mutter! Sie machen bestimmt keinen Ärger. Schließlich wissen sie doch, dass wir morgen früh abreisen«, sagte François wie jemand, der keinen Widerspruch duldet. Da blieb seiner Mutter nichts anderes übrig, als lächelnd nachzugeben.
    Trotz ihrer beiden Kinder, die sechs und acht Jahre alt waren, wirkte Louise so jung, dass man sie gut und gern für deren ältere Schwester hätte halten können. Ihr lockiges blondes Haar hatte den gleichen rötlichen Schimmer wie das ihrer Tochter, und sie versteckte ihre Locken zur Hälfte unter einer schwarzen Satinhaube, die ihr schönes ovales Gesicht sehr gut zur Geltung brachte.
    Ihren knapp dreiundzwanzig Jahren sah man die Lebenserfahrung nicht an, und wenn ihr Gesicht jetzt auch manchmal ein wenig abgeklärt wirkte, war doch schon längst jede jugendliche Scheu daraus gewichen.
    »Können wir nicht nach dem Abendessen noch ein bisschen musizieren?«, fragte Saint-Gelais, der Hapaguai am Halsband hielt, während Prunelle bereits zum Zimmer ihrer kleinen Herrin lief.
    »Nein«, sagte Louise entschieden. »Die Kinder sollen morgen ausgeruht sein. Wir müssen unbedingt pünktlich in Chinon eintreffen, Jean. Versteht das doch, bitte.«
    Diese Anordnung war zwar unmissverständlich, aber der Blick, mit dem sie Jean ansah, blieb dennoch liebevoll und zärtlich. An einem anderen Abend hätte sie sich wahrscheinlich überreden lassen, und die vier hätten, so wie sie es seit einigen Jahren gewohnt waren, zusammen die Laute oder Drehleier gespielt.
    Die Abende, die sie gemeinsam auf dem Schloss verbracht hatten, waren stets heiter und unbeschwert; entweder machten sie Musik, oder die Kinder durften ihrer Mutter und Jean zuhören, wenn sie Gedichte, antike Verse oder zeitgenössische Rondeaus vortrugen.
    Doch jetzt war nicht die Zeit für unbeschwerte Freuden. Für Louise und die Kinder ging es um ihre Zukunft, die sie hoffnungsvoll und zugleich voller Angst erwarteten. Dabei ahnten sie noch nicht einmal, dass ihre kühnsten Erwartungen von tausendmal kühneren Schimären übetroffen werden sollten.
    Louise hatte so sehr auf dieses Ziel hingearbeitet, dass sie jetzt nichts duldete, was den Lauf der Dinge irgendwie stören

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