Die Seidenstickerin
Dafür habe ich mich freiwillig entschieden, lange bevor ich Euch kannte. Und ich habe Euch in dieser Hinsicht nie etwas vorgemacht, das müsst Ihr doch zugeben?«
Er sah sie mit Tränen in den Augen an, aber sie fuhr genauso beherrscht fort:
»Ich kann nicht anders handeln. Nichts, was ich tue oder sage, darf den vorgezeichneten Weg stören.«
»Vergesst Ihr dabei nicht, dass Anne de Bretagne immer noch einen Sohn zur Welt bringen kann?«
»Das halte ich für ausgeschlossen«, erwiderte sie ungehalten.
»Aber diese Befürchtung wird trotzdem auf Euch lasten.«
»Dann akzeptiere ich eben diese Ängste und Sorgen. Sie betreffen ja nur mich allein.«
Saint-Gelais sah die junge Gräfin verzweifelt an und nahm ihre Hand.
»Solche Ängste können mit einem Mal Gewissheit werden, Louise.« Er wollte einfach nicht aufgeben. »Und wenn diese Unwahrscheinlichkeit eintrifft, werdet Ihr sehr unglücklich sein.«
»Ich weigere mich, mir diese Möglichkeit vorzustellen, Jean. Reden wir nicht mehr drüber!«
Sie streichelte seine Hand und sagte leise:
»Wir müssen alles vergessen, Jean.«
»Aber …«
Sie sah hinter Hapaguai her, den Jean gerade von der Leine gelassen hatte und der sich sofort auf die Suche nach den Kindern machte.
»Nein, Jean. Es gibt kein Aber mehr.«
Hörte er den Anflug von Trauer in ihrer Stimme? Wurde ihm jetzt endlich klar, dass es vorbei war mit zärtlichen Geständnissen?
Sie ließ seine Hand los.
»Ich gehe meinen Kindern Gute Nacht sagen und komme dann wieder zu Euch. Ich möchte, dass wir unseren letzten gemeinsamen Abend so harmonisch verbringen wie alle unsere Liebesnächte bisher.«
Auf einmal kam sie ihm kühl und distanziert vor, so als hätte sie sich bereits von der kleinen Welt verabschiedet, die sie in den letzten Jahren bewohnt hatte. Er machte eine Verbeugung und sagte leise und ohne sie anzusehen:
»Ich begleite Euch bis Poitiers. Bitte versagt mir dieses letzte Vergnügen nicht.«
Jetzt schenkte sie ihm ein beinahe tröstendes Lächeln, mit dem sie ihm wohl zu erklären versuchte, dass sich nun einmal nichts ändern ließ. Auch wenn er unter der Vorstellung litt, sie zu verlieren, musste er doch einsehen, dass sie zwar nicht weniger traurig war als er, ihre Pflicht jedoch anderswo sah.
Sie ging durch den Flur, der zu den Kinderzimmern führte. François ließ seine Tür immer angelehnt, und seine Mutter machte sie erst zu, wenn sie ihm einen Gutenachtkuss gegeben hatte. Anschließend ging sie leise in das Zimmer ihrer Tochter und wechselte noch ein paar Worte mit ihr, ehe sie zu Jean zurückkehrte.
Heute hörte sie vom Ende des Gangs, der von einer Deckenlampe schwach beleuchtet wurde, die Stimme ihres Sohns, der mit seiner Schwester redete.
»Meinst du, du wirst unser altes Schloss vermissen?«
»So alt ist es gar nicht. Unser Großvater, Charles d’Orléans, hat es komplett renovieren lassen. Davor ist es viel weniger bequem gewesen.«
»In Chinon werden wir bei allen Festen und allen feierlichen Veranstaltungen dabei sein«, meinte François genießerisch.
»Ich muss schon sagen, mein kleiner Cäsar, du denkst wirklich nur ans Feiern!«, meinte Marguerite.
»Warum soll man sich denn langweilen, wenn das Leben so schön sein kann?«, fragte der Junge.
Louise ging leise weiter. Das Zimmer ihres Sohnes war leer. Er kam oft abends noch zu seiner Schwester und kuschelte sich zu ihr ins warme Bett. Louise fand sie dann Arm in Arm und im Gespräch über Gott und die Welt. Wenn der Kleine endlich eingeschlafen war, trug ihn Marguerite in sein Bett.
Durch die Verbindungstür zwischen ihren beiden Zimmern waren sich die Kinder nahe. Louise war mit dieser Regelung einverstanden und verlangte sogar selbst, dass diese Tür immer nur angelehnt wurde. Marguerite war die Einzige, die sie schließen durfte, wenn sie das einmal für notwendig hielt.
Louise tat wirklich alles, um das ohnehin gute Verhältnis von Bruder und Schwester zu stärken.
Deshalb weigerte sie sich auch hartnäckig, ihre Tochter anders als ihren Sohn zu erziehen, weil sie überzeugt war, die zärtliche Liebe, die sie drei verband, würde François den Aufstieg erleichtern.
»Ich glaube, wir haben dort ein Musikzimmer«, meinte François vergnügt.
»Vergiss nur nicht die Studierzimmer für Latein, Griechisch und Grammatik!«, entfuhr es Marguerite feixend.
»Und du nicht das Spielzimmer«, gab der Junge genauso fidel zurück.
Marguerite setzte sich auf und betrachtete ihren Bruder. An seinen
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