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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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ihnen gekommen war.
    Anne sah sich nach den anderen Galeoten um, die ihrer folgten. Die Loire war graublau. Der zu Ende gehende Winter brachte in der Mitte des Flusses lange goldfarbene Sandbänke zum Vorschein, und vor einem noch hellblauen Himmel schrien einige Möwen, die vom fernen Meer gekommen waren.
    Die Loire begleitete den Weg, den Louis gewählt hatte. Er wollte lieber auf seiner kleinen, nervösen und schnellen Zelterstute reiten, auf der er lange vor seiner neuen Gattin in Amboise eintreffen würde.
    Anne hatte über diese Laune von Louis, der nicht gern segelte, großzügig hinweggesehen. Wie hätte sie ihm ein derart harmloses Vergnügen verweigern können, wo sie doch dabei war, strikte Vorschriften für sein Leben festzulegen, das sie bereits bis in die kleinste Kleinigkeit geplant hatte.
    In diesem Moment träumte Anne aber nur von ihrem neuen Status als Königin. Sie musste unwillkürlich lächeln und machte es sich wieder auf dem Sofa in ihrer Koje bequem, ehe sie noch einmal an die unglückliche Jeanne dachte. Es hieß, sie wollte in Bourges einen Frauenorden zur Verehrung von Mariä Verkündigung gründen.
    Anne seufzte. Was bedeutete das schon für sie, die jetzt ihr zukünftiges Leben neu planen musste. Früher war sie an der Seite von Charles VIII. Königin von Frankreich gewesen, nun war sie wieder Königin von Frankreich, diesmal eben als Gattin von Louis XII.

4
     
    In der Werkstatt in Tours wurde von morgens bis abends auf Hochtouren gearbeitet. Meister Coëtivy konnte sich voll und ganz auf seinen Weber Gauthier verlassen, dem er die Leitung der Werkstatt übergeben hatte, und genauso auf Arnold, seinen Gesellen, der die Ausbildung der Lehrlinge übernommen hatte und wie ein Meister arbeitete. Die Werkstatt am Ufer der Loire war in guten Händen, der Webermeister und sein Vorarbeiter führten sie in perfektem Einverständnis.
    Vier Jahre nachdem Jacquou hier angefangen hatte, dauerte es nur noch wenige Monate, bis er mit seiner Lehrzeit fertig war. Donnerwetter, war er stolz! Und Meister Coëtivy, sein Vater, konnte wirklich zufrieden sein mit seinem Schüler. Wer weiß, vielleicht wollte er sich eines Tages sogar auf den starken Schultern seines Sohnes ausruhen, um sich mehr seinem schöpferischen Werk widmen zu können. Bertrande, seine Gattin, die von dieser Vaterschaft nichts wusste, hätte bestimmt nichts dagegen.
    Hoch konzentriert, wie er es bei Coëtivy und später bei Gauthier und Arnold gelernt hatte, spannte Jacquou Metallfäden auf einen dieser riesengroßen vertikalen Webstühle, die mit ihren Ausmaßen fast die gesamte Werkstatt beanspruchten.
    Da er mittlerweile außergewöhnlich geschickt an den Hochwebstühlen arbeitete, war seine Lehrzeit bald zu Ende; er konnte Geselle werden und seine Arbeiten dann der Weber-Gilde im Norden zur Prüfung vorlegen, um eine eigene Werkstatt aufmachen zu dürfen.
    An diesem Morgen hatte sich Gauthier den ganzen Tag frei genommen, und Arnold war unterwegs, um die erforderlichen Einkäufe für die Werkstatt zu machen. Und wie immer, wenn alle beide abwesend waren, wurde Jacquou mit der Aufsicht betraut. Dann waren die Zungen etwas gelöster; Gauthier mochte es nämlich überhaupt nicht, wenn bei der Arbeit geschwatzt wurde.
    Was Jacquou heute hörte, veranlasste ihn nicht, für Ruhe zu sorgen. Aus den Gesprächen der Arbeiter hatte er schon viele interessante Neuigkeiten erfahren.
    Landry hatte sich gerade wie eine schläfrige Katze gestreckt. Dann setzte er sich aber doch wieder anständig hin und begnügte sich damit, Maulaffen feilzuhalten.
    »Louis hat seine Sache gewonnen«, sagte er. »Die Bretonin ist wieder da. Wahrscheinlich heiratet sie ihn jetzt sang- und klanglos.«
    »Da täuschst du dich aber ordentlich«, antwortete Thibaud. »Die feiern im ganz großen Stil – sogar Toinette und ich heiraten am selben Tag.«
    Landry lachte laut los, machte sich aber wieder an die Arbeit. »Musst du jetzt ja wohl heiraten, ich hab ihren dicken Bauch schon gesehen.«
    Thibaud zuckte nur die Achseln, aber Aubert, der jüngste Lehrling, brach jetzt auch in Gelächter aus. Das war eine wunderbare Gelegenheit, sich über den lustig zu machen, der ständig an seiner Arbeit herummeckerte.
    »Stimmt! Ich hab’s auch gesehen«, alberte er. »Sie hat ihren Buckel vorn, und die Jeanne hat ihn hinten!«
    »Hoho«, grölte Thibaud, um aus Auberts Schusslinie zu verschwinden, »die Jeanne! Ja, die Jeanne hat ihren Buckel hinten.«
    »Das ist aber nicht

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