Die Seidenstickerin
war besonders ansehnlich.
Wie ekelhaft das alles war! Ach, wie gern wäre Jeanne hundert Fuß tief unter der Erde gewesen oder eingesperrt in einem Kloster fernab aller Zivilisation, weit weg vom Hof und seiner ganzen üblen Heuchelei.
Sie holte tief Luft und sah zu dem alten Mönch François de Paule hinüber, der sie von weitem verzweifelt beobachtete, ohne etwas sagen zu dürfen, weil ihm das Beichtgeheimnis den Mund verschloss.
Doch da glaubte sie in seinen Augen einen Hoffnungsschimmer zu entdecken, ein Funkeln, das ihr einen anderen Weg weisen wollte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und brachte es fertig zu sprechen.
»Ich habe meinem Mann niemals abgeraten, andere hübsche und anmutige Mädchen aufzusuchen, nachdem er mit mir Verkehr gehabt hatte.«
»Das heißt also, Ihr bestreitet, Jungfrau zu sein!«
Wieder legte sich drückendes Schweigen über den Saal. Es wurde so leise, dass man sogar hören konnte, wie die Zuschauer vor lauter Spannung schwer und keuchend atmeten.
»Ich schwöre, dass ich nicht mehr Jungfrau bin.«
»Ist Euch bekannt, dass wir Euch untersuchen lassen können?«
Jeanne fuhr erschrocken hoch. Kalter Angstschweiß lief ihr über die Stirn und den Rücken hinunter, und ihr war mit einem Mal so eiskalt, dass sie bis auf die Knochen fror. Aber die unerbittliche Prozedur wurde mit den übelsten Mitteln fortgesetzt.
Sie sah dem Richter ins Gesicht, und ihre Hände zitterten vor Scham.
»Wenn Ihr das für notwendig erachtet, stehe ich Euch zur Verfügung. Ich verlange lediglich, dass die Untersuchung von fähigen und unbefangenen Frauen feinfühlig vorgenommen wird. Unter diesen Umständen wäre ich dazu bereit.«
Verärgert über diese neue Wendung ließ der Vertreter der Anklage den Kopf hängen, und der Richter wühlte in den Akten, die ihm ein Schreiber auf den Tisch gelegt hatte. Offenbar dachten sie über die Konsequenzen dieser Entscheidung nach. Wenn Jeanne in die Untersuchung einwilligte, dann weil sie keine Angst vor der Wahrheit hatte. Also durfte man nicht auf eine Überprüfung bestehen, sondern musste auf dem Zweifel beharren; würde nämlich der NichtVollzug der Ehe bewiesen, bedeutete das, dass sie nicht annulliert werden konnte und dass Louis XII. nicht Anne de Bretagne heiraten dürfte, die ehemalige Königin von Frankreich, die sich so von einem Tag auf den anderen ihre Bretagne zurückholen könnte.
Der Richter und der Vertreter der Anklage verständigten sich mit einem kurzen Blick. Jeder wusste, dass es viel einfacher war, sie zu verstoßen, wenn es keinerlei Gewissheit darüber gab, ob Jeanne Jungfrau war oder nicht.
Auch die Geschworenen begriffen, dass es nur so funktionieren konnte. Und was Jeanne betraf, so hatte sie alle Hoffnungen übertroffen mit dem Buckel auf ihrem armen Rücken, den kurzen Beinen und ihrem hässlichen Gesicht, das nur etwas ansehnlicher wirkte, wenn sie zum Himmel lächelte, der sie hoffentlich nicht verleugnen würde.
Alles kam genau so, wie sie es sich gedacht hatte. Die ärztliche Untersuchung fand nicht statt, und die Annullierung ihrer Ehe wurde im ganzen Land bekannt gegeben. Jeanne hatte die Schlacht verloren, ihr Mann hatte sie verstoßen, aber mit Herz und Verstand hatte sie erreicht, was sie sich vorgenommen hatte.
Die Galeote, die Anne ins Val de Loire zurückbrachte, glitt lautlos über den Fluss. Ein ganzes Jahr lang hatte Anne Pläne geschmiedet. Seit sie erfahren hatte, dass die Ehe von Louis XII. annulliert wurde, bereitete sie sich mit Leib und Seele darauf vor, ihn als König zu empfangen, nicht als ihren Herrn.
Sie akzeptierte die Klauseln des Vertrags von Langeais, der sie dazu verpflichtete, den Nachfolger des verstorbenen Königs noch im Januar 1499 zu ehelichen, und hatte sich mit ihrem zukünftigen Gatten in Nantes getroffen, um zu heiraten.
Seit dem Morgengrauen grübelte sie bereits über die zahllosen Privilegien, die man ihr zurückgegeben hatte. Sie war geachtet und gestärkt durch ihre Erfahrung von einem Dutzend Jahren an der Macht, aber nun setzte man ihr einen unerfahrenen, kindischen König vor die Nase, der durch einen erniedrigenden Prozess geschwächt war, auch wenn er ihn gewonnen hatte. Jetzt war Königin Anne an der Reihe, ihre Konditionen zu diktieren.
Die bucklige Jeanne hatte sich in ein Kloster geflüchtet, und Anne hatte freie Bahn für ihre Pläne. Sie wollte den Franzosen beweisen, dass sie nicht mehr die ahnungslose junge Frau war, als die sie einmal aus ihrer Bretagne zu
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