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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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das Recht, Eure Worte anzuzweifeln.«
    »Ich habe geschworen, die Wahrheit zu sagen.«
    Jetzt streckte auch der Vertreter der Anklage seine Arme aus, aber nur um mit den weiten Ärmeln drohend vor Jeannes Gesicht herumzufuchteln.
    »Zugegeben – es gibt Zeugen, die gesehen haben, dass Euer Gatte Euer Zimmer betreten hat; aber keiner weiß, was er dort in Eurer Gegenwart getan hat.«
    »Das, was alle Eheleute tun, wenn sie gerade geheiratet haben!«
    Er durchbohrte sie schier mit seinen Adleraugen und brüllte:
    »Der nächste Zeuge soll vortreten!«
    Jeanne sah einen schmächtigen, mageren Mann mit struppigem schwarzen Haar und einem schlecht geschnittenen Bart hereinkommen. Unter seinem weiten Umhang verbarg sich ein Körper, der wahrscheinlich kaum größer war als ihr eigener. Sie erkannte ihn sofort. Er hatte als Nachtwächter in Diensten von Louis XI. gestanden und war unentwegt durch die Gänge im Schloss geschlichen, wenn sich der Herzog von Orléans dort aufhielt.
    Nachdem er seinen Namen genannt und geschworen hatte, die Wahrheit zu sagen, wurde ihm die erste Frage gestellt.
    »Hat der Herzog seine Frau oft besucht?«
    Der schmächtige Kerl kicherte.
    »Man hat Euch etwas gefragt«, rief ihn Barthoulas streng zur Ordnung.
    »Ja, ja, ich will ja auch antworten«, gab der Mann respektlos zurück und hörte auf zu lachen. »Es ist schon vorgekommen, dass der Herzog von Orléans dort aufgetaucht ist, wenn es Louis XI. von ihm verlangt hat.«
    »Hat der König das oft verlangt?«
    »Einmal im Monat.«
    »Und was hat Louis d’Orléans dann gemacht?«
    Der Wicht konnte sich gut ausdrücken. Obwohl eindeutig bäuerlicher Herkunft, hatte er es unter dem unnachgiebigen Louis XI. doch zu einigem sprachlichen Geschick gebracht.
    Er fing wieder an zu kichern.
    »Der Herr pflegte sich in das Zimmer, das direkt neben dem seiner Gattin lag, zu begeben, Eure Exzellenz.«
    »In das Zimmer daneben!«, rief der Vertreter der Anklage und seine Augen strahlten vor Freude. »Ihr gebt also zu, dass der Herzog von Orléans nicht mit seiner Frau schlief, wenn er zu Besuch auf dem Schloss war?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Was sollte das denn sonst heißen? Bitte werdet etwas genauer.«
    »Der Herzog betrat das Zimmer seiner Frau, blieb dort ein zwei Stunden, verließ sie dann und klopfte am Zimmer nebenan.«
    »Er klopfte! Wieso hat er geklopft? War denn jemand in diesem Zimmer?«
    Wieder musste das Kerlchen kichern, während er mit den Händen üppige Formen in die Luft zeichnete.
    »Mädchen waren in dem Zimmer, Exzellenz! Hübsche und gut gebaute blonde und brünette Mädchen, die ihn dort erwarteten, um ihn für die vorhergehenden Stunden zu entschädigen.«
    »Was habt Ihr für Beweise für diese Behauptungen?«
    »Das kann ich allerdings beweisen, Exzellenz! Wenn der Herzog das Zimmer seiner Frau verließ, hat er gerufen: ›Jetzt hab ich aber einen guten Trunk verdient, weil ich es meiner Frau zweimal besorgt habe.‹ Manchmal hat er auch dreimal gesagt.«
    Von dieser unerwarteten Enthüllung überrascht, wandte sich der Richter an den Vertreter der Anklage:
    »Gibt es nicht eine Aussage des Königs, die besagt, dass er nie ›nackt‹ mit seiner Frau geschlafen habe? Er hätte es ihr natürlich bekleidet besorgen können, ohne dass dann etwas passiert wäre.«
    »Aber Exzellenz«, sagte der Zeuge mit einem Lächeln auf den Lippen, »wer hier in diesem Saal würde nicht verstehen, wenn es der Herzog von Orléans seiner Frau lieber bekleidet als entkleidet besorgt hätte? Aber, um ehrlich zu sein, ändert das nichts am Ergebnis.«
    Und von neuem kichernd erklärte er: »Ich selbst habe mehr als ein Mädchen in einer Scheune aufs Kreuz gelegt und bin ans Ziel gekommen, ohne dass ich sie hätte ausziehen müssen.«
    Nun musste die bleiche und zitternde Jeanne wieder an die Schranke treten. Oh Gott! Wie peinlich und widerlich die ganze Sache war. Sie war bestürzt über all diese schmutzigen Einzelheiten, die hier in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wurden; es störte sie so, dass sie kaum noch in der Lage war, das Verhör fortzusetzen.
    »Wusstet Ihr, dass sich in dem Zimmer nebenan Eure Rivalinnen aufhielten?«, wollte der Richter von ihr wissen.
    Jeanne antwortete nicht sofort. Erst einmal musste sie sich von dieser Schmach erholen, musste sie in dieser Erniedrigung brillieren, musste sie ihnen die Wahrheit beweisen, und zwar in beiderlei Hinsicht, denn jedes Ding hat zwei Seiten, und weder die eine noch die andere

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