Die Seidenstickerin
Villiers machte ein bekümmertes Gesicht. Dann nahm er sein Schwert, weil er diese grauenvolle Pflicht nicht länger aufschieben durfte, und stach es dem Pferd mitten ins Herz.
Charles wusste nur zu gut, dass kein Soldat diese traurige Pflicht gern übernahm. Jedes Pferd, das mit seinem Herrn in den Krieg zog, verdiente dessen besondere Zuneigung und war seinem Kampfgefährten gewissermaßen gleichgestellt. Trotzdem war es ganz normal, dass man sein Pferd, wenn es sich im Kampf verletzt hatte, tötete, um ihm unnötige Schmerzen zu ersparen.
Charles d’Angoulême wandte den Kopf ab, um die letzten Zuckungen des Tiers nicht mit ansehen zu müssen. Pardaille hatte zum Glück nichts davon mitbekommen, er schnaubte wegen des Sturms und wollte scheinbar lieber weitertrotten, als noch länger auf der Stelle zu stehen und zu frieren.
Als Charles den Blick von dem armen toten Pferd wandte, das nun von seinem Leiden erlöst war, sah er Constance mit einem blassen jungen Mädchen mit kastanienbraunem Haar unter einer Samthaube, das sich auf sie stützte. Es wirkte sehr schwach.
»Alix ist wieder bei Bewusstsein. Was sollen wir denn nur ohne Kutsche machen, mein Herr?«, fragte Constance und wandte sich an Charles, der die noch immer halb ohnmächtige Alix auffing.
Vorsichtig hob er das Mädchen so auf den Rücken von Pardaille, dass es mit dem Oberkörper auf dem Hals des Pferds lag.
»Ganz einfach, Demoiselle«, versicherte er ihr. »Euch nehme ich ebenfalls mit auf mein Pferd. Und Hochwürden de Villiers muss mit dem Kutscher zusammen auf dem anderen Pferd aufsitzen.«
Der Kardinal seufzte und sah sich das Malheur noch einmal an. Dazu muss man wissen, dass ein Kirchenmann mit jedem noch so kleinen Besitz sehr sorgsam umging und es den Prälaten sehr traurig stimmte, in so kurzer Zeit so viel Vermögen zu verlieren.
»Das war wirklich eine besonders schöne Kutsche«, sagte er bedauernd.
»Und was ist mit unserem Gepäck?«, fiel es Constance plötzlich ein.
»Verehrte Demoiselle, mehr Gewicht können wir den Pferden wirklich nicht zumuten«, gab Charles zur Antwort. »Wind und Regen werden ihnen schon mehr als genug zusetzen. Sobald wir zu einem Gasthaus kommen, schicken wir jemanden her, der das Gepäck holen soll.«
»Wenn es dann nicht schon Räuber und Wegelagerer geholt haben«, wandte das junge Mädchen ein.
»Da habt Ihr natürlich Recht, aber Euer Leben ist tausendmal mehr wert als die Pakete, die Ihr vielleicht verliert, schöne Demoiselle«, entgegnete der Graf d’Angoulême.
Seine galante Antwort schien Constance sehr zu gefallen, denn sie widersprach nicht länger und ließ sich auf Pardailles Rücken heben.
Auch die Männer stiegen auf, ließen das umgekippte Gespann, das Gepäck und das tote Pferd in dem Schlamm zurück und nahmen den Kampf mit dem Sturm auf, der ihnen ins Gesicht schlug und den Pferden heftig auf die Kruppe peitschte.
Drei Stunden später erreichten sie Blois – auf dem ganzen Weg begegneten sie keiner Menschenseele. Damals wagte sich niemand bei solch stürmischem Wetter in der Nähe eines Flusses auf die Straße. Man blieb lieber zu Hause aus Angst, der Sturm könnte einen in den Fluss treiben, in dem man dann ertrank.
Gegen Mittag legte sich dichter Nebel über die ganze Landschaft. Die Ufer der Loire schwollen weiter an, und die Fluten reichten bis zu den nahe gelegenen Häusern, wobei sie alles mitnahmen, was ihnen in den Weg kam.
»Wir müssen über die Brücke«, sagte Charles, »sonst sitzen wir hier in Blois fest, bis sich der Sturm gelegt hat. Und das dauert meiner Meinung nach mindestens zwei oder drei Tage, vermutlich aber sogar acht oder zehn.«
»Das befürchte ich auch«, sagte der Prälat und nickte zustimmend.
Da entdeckte er in der Ferne eine Gestalt, die langsam auf sie zukam.
»He, du da!«, rief er der gebückten Gestalt zu, die von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt gegen den Wind ankämpfte.
Der Mann war nicht groß und eher schmächtig. Der Nebel verschluckte ihn beinahe vollständig, und sein Umhang war weiß von Raureif, weil sich nun auch noch eine Eiseskälte zu dem Wind gesellte und einen schier erstarren ließ.
»Ihr könnt nicht über die Brücke«, sagte der kleine Mann und sah zu Boden, weil er vor lauter Sturm den Kopf nicht heben konnte.
»Ist sie nicht mehr passierbar?«
»Auf keinen Fall.«
»Guter Mann«, sagte Charles d’Angoulême, »wir müssen aber in Amboise sein noch ehe es Mittag schlägt, und jetzt sind wir erst in
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