Die Seidenstickerin
Blois. Du kriegst von mir zehn Heller, wenn du uns auf die andere Seite bringst.«
»Fünfzehn«, erhöhte Jean de Villiers; die Geldbörse des Kardinals war sicher besser gefüllt als die des Grafen d’Angoulême, wenn man einmal von dem Gewinn aus dem Schmuckverkauf absah, den er in seinem Degenknopf versteckt hatte.
»Aber das ist unmöglich, Herr! Das Wasser geht Euren Pferden bis zum Bauch.«
»Unsere Pferde haben schon den Krieg überstanden, dann werden sie das hier ja wohl auch bewältigen«, beruhigte ihn der Kardinal. »Also gut, wenn du uns heil hinüberbringst, kriegst du einen Silberling von mir.«
Der Mann kratzte sich an der Kapuze, die sein Gesicht verdeckte, und richtete sich ein wenig auf.
»Einen Silberling von jedem, Hochwürden, dann geh ich Verstärkung holen. In zwei Stunden seid Ihr auf der anderen Seite der Brücke.«
»Abgemacht«, antwortete Kardinal de Villiers.
Das Warten kam den Reisenden schier endlos vor, aber irgendwann tauchte der kleine Kerl wieder auf und hatte Seile und einen Hünen von Mann dabei, dem das Unwetter nichts auszumachen schien. Der Sturm peitschte seinen Rücken und die breiten Schultern; und obwohl er nur ein grobes Leinenhemd trug und ihm der Regen in Strömen übers Gesicht lief, schien er das nicht einmal zu bemerken.
Als sie am Brückenkopf ankamen, der bereits unter Wasser stand, drehte sich der Koloss zu ihnen um und sagte, während ihm das Wasser an der großen Nase herunterlief:
»Ihr müsst absteigen. Ich nehm die Pferde. Und der da«, er deutete auf den Mann mit der Kapuze, »macht Euch den Führer.«
Keiner widersprach, aber Constance und Alix betrachteten entsetzt die überflutete Brücke, die sie passieren sollten. Der Riese ging los und setzte einen Fuß ins Wasser.
»Ist nicht tief«, meinte er. »Mir reicht’s bis zu den Knöcheln, bei Euch bis zu den Knien. Wird’s denn gehen?«
»Haben wir denn die Wahl?«, scherzte Kardinal de Villiers.
Der Hüne sah ihn mit seinen großen runden Augen verdutzt an, während ihm das Wasser von seiner langen, dicken Nase auf die Lippen lief. Aber Charles und Jean erkannten dann sehr schnell, dass dieser Mann genau wusste, was zu tun war und dass er wohl schon mehr als einmal jemand bei solch einem Wetter auf die andere Seite gebracht hatte.
Er hielt die Pferde fest an den Zügeln.
»Vorsicht!«, rief der Kutscher dem Koloss zu, »mein Pferd geht durch, wenn ihm das Wasser zu hoch steht.«
»Dann soll eben meins zuerst gehen«, schlug Charles vor. »Pardaille ist nicht ängstlich. Er ist an solche Situationen gewöhnt. Die Gironde tritt oft über die Ufer und außer im Sommer sind die Uferwege meist nicht passierbar.«
Pardaille hatte also das Privileg, das Wasser auf der Brücke für seinen Gefährten zu teilen, der sich so aufbäumte, dass Jean und der Kutscher dem großen Mann beim Halten helfen mussten, damit er nicht das Gleichgewicht verlor und in den Fluss stürzte.
Als die Pferde auf der anderen Seite angekommen waren, musste der Hüne umkehren und Jean, Charles und den beiden Frauen über die Loire helfen.
»Wenn Ihr da rüberwollt, müsst Ihr Eure Röcke hochheben, sonst stolpert ihr noch drüber«, sagte der kleine Mann mit der Kapuze.
Da musste Charles lachen.
»Genau, macht schon, er hat Recht. Zeigt also Eure hübschen Füße her, ehe sie nass werden. Und macht Euch keine Sorgen: Auf der anderen Seite der Brücke ist ein Gasthaus, da könnt Ihr Euch trocknen.«
Die beiden Mädchen ließen sich das Seil um die Taille knoten, das die Männer mitgebracht hatten, und beobachteten entsetzt die brodelnden Fluten, die der Sturm über die Brücke trieb.
Dann stießen sie einen tiefen Seufzer aus, als sie mit aufgelösten Haaren – Constance hatte schon längst ihre Haube verloren, Alix erst, als sie der Graf d’Angoulême auf sein Pferd gehoben hatte – und gerafften Röcken mit unverhohlener Furcht den Riesen vom anderen Ende der Brücke zurückkommen sahen, wo er den Kutscher und die beiden Pferde unversehrt zurückgelassen hatte.
Nun tappten alle vier, fest aneinandergebunden, auf die überflutete Brücke, Jean und Charles gingen hinter den Mädchen und ganz zum Schluss kam der kleine Mann, der sein Gesicht noch immer halb unter der Kapuze verborgen hatte. Der Koloss im Hemd zog die beiden Frauen hinter sich her und achtete darauf, dass sie sich in der Mitte der Brücke hielten, von der man weder Boden noch Geländer sah.
Der kleine Mann am Ende der Schlange, in der jeder
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