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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Arbeit am Hoch- oder Flachwebstuhl verstehe ich leider gar nichts, aber ich will es unbedingt lernen. Dafür kann ich Vorlagen zeichnen und kolorieren. Ich halte es einen ganzen Tag an einer Arbeit aus und hab gelernt, dass man dem Meister gehorchen muss.«
    »Gut, dann sag ich Meister Gauthier, dass du Arnaudes Cousine bist, und rate ihm, dich an Stelle von Aliette zu beschäftigen – das ist das Lehrmädchen, das bald die Arbeiterin Benoîte ersetzen wird.«
    »Was! Benoîte soll meinen Platz haben!«, rief Arnaude, und Tränen schossen ihr in die Augen.
    »Es geht nicht anders, Arnaude«, seufzte ihr Mann. »Meister Gauthier wird den Platz nicht lange für dich freihalten.«
    »Aber das ist mein Beruf, Arnold, und außer dir bedeutet er mir alles, er ist mein Leben. Ich liebe diese Arbeit und will sie auf keinen Fall aufgeben.«
    »Jetzt ist erstmal die Familie dein Leben, mein Herzchen«, flüsterte Arnold und küsste seine Frau auf den Mund. »Du bekommst ein Kind, Arnaude, unseren Sohn oder unsere Tochter. Und bald wirst du noch ein Kind bekommen. So ist nun einmal das Leben der Frauen.«
    »Ja! So ist nun einmal das Leben der Frauen«, wiederholte seine Frau bitter, »das Leben der Frauen, so wie es sich die Männer wünschen.«
    Kaum hatte sie diese Bemerkung gemacht, als sie anfing zu schreien. Sie brüllte wie ein Tier auf der Schlachtbank.
    »Verdammt!«, schrie jetzt auch Arnold. »Das Kind kommt. Schnell, Alix, geh die Nachbarin holen.«
    »Welche denn?«, fragte das Mädchen leise.
    Dann zögerte sie aber nicht lange, weil sie sich dachte, dass die Nachbarin auf der linken Seite bestimmt nicht schlechter helfen würde als die auf der rechten. So kamen wenig später Dame Aliénore und Dame Jacquemine in größter Eile angelaufen. Als sie sahen, wie bleich und aufgelöst Arnaude war, machten sie sich sofort ans Werk.
    »Steht uns hier nicht im Weg herum«, sagten sie zu Arnold, der noch blasser aussah als seine Frau. »Am besten macht Ihr einen Spaziergang und kommt erst später wieder. Euch können wir jetzt überhaupt nicht brauchen.«
    Dann wandte sich Dame Jacquemine an Alix.
    »Schnell, Kleine, bring ein paar Schüsseln mit heißem Wasser; ich hole inzwischen Laken, ich weiß schon, wo ich sie finde.«
    Und sie öffnete die große Truhe, die hinten im Zimmer stand.
    »Vielleicht musst du noch etwas Holz nachlegen, Aliénore. Das Kindchen soll doch nicht frieren. Heute Nacht wird es eisig. Morgen soll sogar die Loire zugefroren sein.«
    Dass Dame Jacquemine die ganze Sache so entschlossen in die Hand nahm, lag daran, dass sie selbst sechs Kinder zur Welt gebracht hatte und wusste, wovon sie sprach.
    Die Schüsseln mit heißem Wasser standen bereit, die Leintücher waren ausgebreitet, und das Feuer prasselte im Ofen. Dame Jacquemine legte Arnaudes Bauch frei und tastete ihn vorsichtig ab. Dann nickte sie zufrieden und murmelte:
    »Ich glaube, das Kind liegt sehr gut. Das wird bestimmt keine schwierige Geburt.«
    Arnaudes Schreie hallten die ganze Nacht durchs Haus. Arnold, dem es draußen zu kalt geworden war, war zurückgekommen, doch Dame Aliénore hatte ihn höflich, aber bestimmt ins Nebenzimmer geschickt. Von dort hörte man seine schweren Schritte. Zwischendurch musste er sich immer wieder einmal setzen und sich den Schweiß von der Stirn wischen, um dann aber gleich wieder mit langen Schritten durch das Zimmer zu laufen, wobei er ständig gegen irgendein Möbel stieß, das ihm im Weg stand.
    Mit einem feuchten Tuch tupfte Alix behutsam Arnaudes schmerzverzerrtes Gesicht ab. Als der Morgen graute, stieß sie noch einen letzten lauten Schrei aus, ehe sie es endlich geschafft hatte. Arnaude hatte einen gesunden Jungen mit rosiger Haut und einer kräftigen Stimme zur Welt gebracht.
    Nach der Geburt des kleinen Guillemin und während der Abwesenheit von Meister Coëtivy verbrachte Alix erst einmal eine gute Zeit. Arnold stellte sie am nächsten Morgen in der Werkstatt als die Cousine von Arnaude vor, die gekommen war, um ihr bei der Entbindung zur Seite zu stehen. Das klang so überzeugend, dass Meister Gauthier nicht einen Augenblick an der Geschichte zweifelte.
    Nur der junge Aubert, der gerade fünfzehn geworden war, sah Alix komisch an und fragte sich, wo er dieses Mädchen schon einmal gesehen haben könnte.
    Jacquou jedenfalls war ein Schussgarn gerissen, als er Arnold in Begleitung von Alix auf Meister Gauthier zugehen sah. Und das war ihm noch nie passiert. Alix wollte diesen besonderen

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