Die Seidenstickerin
Moment nicht zerstören und wich seinem Blick aus. Sie wollte ihn ansehen, wenn sie nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses stand.
Jacquou war so durcheinander, dass er gar nicht wusste, was er tun sollte. Schließlich ging er eine Weile auf den Hof, um sich zu beruhigen. Danach herrschte wieder Alltag in der Werkstatt; mittlerweile hatten sich Benoîte und Aliette nämlich erneut an ihre Arbeit gemacht, und Meister Gauthier schimpfte lautstark mit Aubert.
»Kann es sein, dass du noch nie ein Mädchen gesehen hast? Los jetzt, marsch an die Arbeit!«
Dann wandte er sich an Arnold und sagte:
»Es freut mich zu hören, dass du einen Sohn bekommen hast. Wie geht es Arnaude?«
»Sehr gut, danke, aber ohne die Hilfe ihrer Cousine und von unseren beiden Nachbarinnen hätte mir die Niederkunft ziemliche Schwierigkeiten gemacht.«
Da musste Meister Gauthier lauthals lachen. Er war ein dicker, kleiner Mann mit schütterem Haar, der sein Äußeres vernachlässigte.
»Was soll das denn heißen? Es gehört ja wohl wirklich nicht zu unseren Aufgaben, unseren Frauen bei der Entbindung zu helfen.«
Dann wollte er keine weitere Zeit verlieren und wandte sich gerade in dem Augenblick an Alix, als Jacquou in die Werkstatt zurückkam.
»Du kommst gerade recht, Kleine, der Platz von Aliette ist nämlich frei, weil sie Benoîte ersetzen muss, die jetzt an den großen Webstühlen arbeiten wird.«
Er musterte sie eine Weile und fuhr dann fort:
»Wenn du nicht zufällig hier wärst, hätte ich mir jemand anders suchen müssen. Und dass du die Cousine von Arnaude bist, ist eine gute Referenz; ich nehme an, Arnold wird schon wissen, ob du anständig bist. Was hast du gelernt?«
»Ich habe eine Lehre als Stickerin gemacht. Aber eigentlich wollte ich schon immer an einem Webstuhl arbeiten.«
Sie zögerte einen Moment und sagte dann:
»Am liebsten an einem großen.«
Und wieder lachte Gauthier, dass sein dicker Bauch auf und ab hüpfte.
»Du bist ja ganz schön ehrgeizig! Aber das gefällt mir. Ehe du dahin kommst, musst du mir aber erstmal zeigen, was du kannst. Du darfst bis heute Abend hierbleiben. Wenn ich mit dir zufrieden bin, kriegst du eine Woche Probezeit. Dann sehen wir weiter.«
»Bitte, Meister Gauthier«, sagte sie mutig, »ich würde mich schrecklich langweilen, wenn ich die ganze Zeit die Werkstatt fegen oder die gerissenen Wollfäden sortieren soll. Das hab ich schon vier Jahre lang gemacht.«
»Wo hast du denn gearbeitet?«
»Ach, bei einem kleinen Stickereimeister in Paris, in der Nähe des Boulevard Saint-Germain. Mein Vater ist schon lange tot, und meine Mutter ist gerade gestorben. Deshalb wollte ich zurück in die Heimat meiner Mutter und mich nach Arbeit in der Teppichweberei umsehen. Und dann ist zufällig meine Cousine Arnaude niedergekommen, und ich musste ihr helfen.«
Alle Achtung, die kann aber gut lügen!, dachte Arnold, der sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut fühlte und keinen Ton sagte.
»Ich habe ein paar Zeichnungen für kleinere Stickereiarbeiten mitgebracht, aber Arnold hat mir erklärt, dass Ihr hier nichts damit anfangen könnt. Deshalb habe ich sie bei meiner Cousine gelassen«, fuhr sie fort.
Gauthier nickte zufrieden. Das schien sich ja alles ausgezeichnet anzulassen. Jetzt musste man nur noch prüfen, wie gut und wie ausdauernd dieses Mädchen war. Vielleicht wollte sie mit ihrem entschlossenen Auftreten nur Eindruck machen! Wenn das so wäre, bliebe sie höchstens einen oder zwei Tage. Gauthier wandte sich noch einmal an Arnold und sagte:
»Ich nehme an, du hast keine Zeit, dich um die Kleine zu kümmern. Was hältst du davon, wenn wir diese Aufgabe Jacquou übertragen?«
Auf Arnolds Einverständnis hin, sagte er in einem etwas mürrischeren Ton:
»Komm her, Jacquou! Ich weiß, dass diese Aufgabe nicht besonders angenehm ist, aber irgendwer muss sie nun einmal übernehmen. Landry und Thibaud sitzen an einer Arbeit, die dringend fertig werden muss. Aubert ist zu unbesonnen und nicht ernsthaft genug, und Arnold hat keine Zeit. Die beiden Frauen sind viel zu sehr mit ihrer neuen Tätigkeit beschäftigt. Also schaust du dir an, wie diese Kleine arbeitet und was sie kann.«
Nun ging es in Meister Gauthiers – oder besser gesagt in Meister Coëtivys – Werkstatt wieder lebhaft zu. Die junge Alix saß am Webstuhl und war jetzt hin und her gerissen zwischen Unschlüssigkeit, Unkenntnis und der großen Lust, in Jacquous Augen zu versinken, dessen Hände vor Aufregung
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