Die Seidenstickerin
hervor, dass Jacquou dessen Schüler und dass Alix trotz ihrer vierzehn Jahre bereits seit zwei Jahren kein Kind mehr war.
Die Zeichnungen von Alix schienen nun aber erstmal überflüssig zu sein, weil sie plötzlich eine junge Frau mit einem dicken Bauch vor sich auftauchen sah, die wohl bald entbinden würde.
»Der Haupteingang zur Werkstatt ist vorn«, sagte sie zu Alix und warf einen Blick auf die Kartons, die sie in der Hand hielt. »Wollt Ihr hereinkommen? Meister Gauthier ist noch da.«
»Danke«, antwortete Alix auf einmal verlegen, »aber ich wollte die Kartons eigentlich Jacquou geben. Geht das denn?«
Sie hatte einfach einmal seinen Namen aussprechen müssen, um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich hier war. Alles wäre nämlich umsonst, sollte er mittlerweile die Werkstatt gewechselt haben, eine Vorstellung, die ihr solche Angst machte, dass sie gar nicht erst daran zu denken wagte.
»Ja, Monsieur Jacquou ist auch da, aber die Zeichnungen müsst Ihr Meister Gauthier geben.«
»Ich möchte aber Jacquou sehen«, bat Alix leise und ängstlich und hoffte damit die zukünftige Mutter für sich zu gewinnen.
»Er sucht aber nicht die Motive für die Bildteppiche aus. Wenn Meister Gauthier nicht da ist, entscheidet so etwas höchstens Arnold.«
Dann schwieg sie, strich sich über den Bauch, verzog ein ganz klein wenig ihr Gesicht und sagte:
»Arnold ist mein Mann. Er ist schon als Lehrling in diese Werkstatt gekommen. Jetzt ist er Vorarbeiter.«
Alix beschloss, sich bei dieser jungen Frau einzuschmeicheln, die ihr irgendwie sympathisch war.
»Erwartet Ihr ein Kind?«
Was für eine dumme Frage, dachte sie sofort. Was soll sie sonst schon mit diesem Bauch erwarten?
»Ja«, antwortete ihre neue Bekannte, »und das ist sehr ärgerlich, weil ich dann nicht mehr in der Werkstatt bleiben kann; dabei liebe ich meine Arbeit sehr. Sie gefällt mir gut, und ich wollte eigentlich noch lange arbeiten. Es gibt noch so viel, was ich lernen wollte.«
»Habt Ihr denn niemanden, der auf Euer Kind aufpassen kann?«
»Nein, leider nicht!«
Dann beugte sie sich ein wenig zu Alix und fragte freundlich.
»Wie heißt Ihr eigentlich?«
»Alix.«
»Ich heiße Arnaude.«
Erschöpft verlagerte sie ihre Haltung ein wenig, um ihrem Bauch, den sie mit den Händen stützte, etwas mehr Bewegungsfreiheit zu gönnen.
»Und was macht Ihr?«
»Ich bin Stickerin und habe meine Lehre in Nantes gemacht. Aber ich möchte lieber Weberin werden und im Val de Loire arbeiten.«
Arnaude nickte zustimmend.
»Dann wohnt Ihr also erst seit kurzem in Tours. Habt Ihr Jacquou in Nantes kennen gelernt?«
»Woher wisst Ihr das?«
Arnaude lächelte gequält, und Alix begriff, dass sie ihr bestimmt lieber ein entspanntes Gesicht gezeigt hätte.
»Jacquou ist doch auch aus Nantes. Hier in der Werkstatt weiß jeder, dass er von dort kommt. Als Meister Coëtivy, der sich nur sehr selten in Tours blicken lässt, hier aufgetaucht ist und ihn Meister Gauthier anvertraute, wusste jeder sofort, dass er sein besonderer Schützling ist. Jacquou hat hier seine Lehre gemacht; mittlerweile ist er Geselle und arbeitet an seinem Meisterwerk für die Webergilde.«
»Ich weiß.«
»Jetzt will ich aber wissen, woher Ihr das wisst.«
»Weil ich Jacquou sehr gut kenne.«
Sie zögerte kurz, nahm dann aber ihren ganzen Mut zusammen und sagte die Worte, die sie aus Angst vor der Antwort kaum auszusprechen wagte: »Ist Meister Coëtivy zurzeit in Tours?«
»Ich glaube nicht. Soweit ich weiß, ist er in Paris, aber auf dem Rückweg in die Bretagne kommt er bestimmt hier vorbei.«
Die Wehe, die sie eben einen Moment lang schwanken ließ, schien nachzulassen. Arnaude holte tief Luft, lächelte Alix zu, betrachtete deren armseligen Aufzug und dachte sich, dass der Vater dieses Mädchens nicht sehr reich sein konnte. Vielleicht hoffte er sogar darauf, für die Zeichnungen, die seine Tochter in der Hand hielt, etwas Geld zu bekommen. Das Mädchen machte auf sie einen sehr bescheidenen, freundlichen und etwas ängstlichen Eindruck. Also lächelte sie sie weiter an und fragte:
»Was macht Ihr denn, wenn Meister Gauthier Eure Zeichnungen nicht will?«
Alix überlegte. Schließlich konnte sie ihr nicht so ohne weiteres sagen, dass sie eigentlich nur einmal Jacquou sehen wollte, damit er wusste, dass sie endlich in Tours war.
»Ich weiß es nicht«, meinte sie nur.
»Was haltet Ihr davon, wenn Ihr zu mir nach Hause kommt? Und wenn Arnold von der Arbeit kommt,
Weitere Kostenlose Bücher