Die Seidenstickerin
gekleidet und mit heiterer, beschützender Miene. Sie würde die Umrisse seines Körpers und seines Gesichts nachzeichnen, und wenn sie ihn in diese leuchtend kraftvolle Aura gekleidet hatte, wollte sie ihn auf eine große Leinwand weben. Der Engel ihrer »heimlichen Heirat« hätte dann für sie nichts Geheimnisvolles mehr.
Alix wandte sich zu Jacquou. Er sah sie an und lächelte, und sie antwortete ihm mit einem strahlenden Blick und brachte, ihre Hand in seiner, ihr »Ja« mit so viel Inbrunst hervor, dass Constance eine heimliche Träne vergoss, wie Jean bemerkte. Er fragte sich, ob sie eines Tages auch so ein Glück genießen durfte. War sie auch für die eine wahre, große Liebe geschaffen? Oder würde sie sich vielleicht in den unübersichtlichen Labyrinthen wilder, alles verschlingender und oft zerstörerischer Leidenschaften verlieren, die sie scheint’s kennen lernen wollte?
Er wusste, dass Constance das ungestüme Temperament ihrer Mutter und ihrer Großmutter geerbt hatte, gleichzeitig war sie aber weder mit Isabelles kluger Überlegtheit noch mit Léonores Ausgeglichenheit bedacht worden. Constance war nur aus einem Holz geschnitzt, das schnell entbrennt und erst wieder verlöscht, um zu sterben; Isabelles dagegen war jetzt zu heißer, feuriger Glut geworden, und Léonore war aus weichem, jungem Holz gewesen, biegsam, aber unzerbrechlich. Leider war sie einem anderen Tod zum Opfer gefallen, und bei ihrem Ende hatte es weder Feuer noch Flamme gegeben.
Nachdem beide ihr Jawort mit der gleichen Begeisterung gegeben hatten, fuhr sich Jean verstohlen mit der Hand über die Stirn. Warum nur musste er, während er Jacquou verheiratete, so sehr an Léonore denken, die einzige wahre Liebe seines Lebens? Wie weit Gott jetzt von ihm entfernt war! In diesem heftigen und unvergesslichen Gefühl, das sein empfindsames Herz jetzt wieder durchbohrte, war kaum Platz für Gott.
Er sah Jacquou an, dessen große verträumte Augen auf ihn gerichtet waren. Sein Gesicht strahlte ungewohnte Besinnlichkeit aus. Dieser große, gut gebaute Junge, großzügig, gelehrig und sanft, aber alles andere als feig, freimütig, direkt und diskret zugleich, dieser große Junge, der Alix so sehr gefiel, hätte sein Sohn sein können. Warum nur spürte er in ihm alle Charakterzüge, die er selbst auch hatte? Warum war Jacquou für ihn wie sein eigenes Fleisch und Blut?
Doch da rief ihn Alix mit einem heiteren Blick zur Ordnung. Er hob seine Hand und segnete die beiden.
Jean musste noch am selben Abend aufbrechen. Für Constance stand eine Kutsche bereit, die sie nach Amboise zurückbringen sollte, und eine weitere für Alix und Jacquou, die in Begleitung von Arnaude und ihrem Mann unverzüglich nach Tours zurückfuhren.
Jean machte sich auf den Weg in den Vatikan – mit dem Bild eines jungen Paars im Herzen, dessen Glück er besiegelt hatte.
Ein Monat verging so voller Glück. Alix ging jeden Abend zu Arnaude und aß dort mit ihr und Arnold zu Abend; dann schlich sie sich in die Kammer ihres Gatten, trunken vor Freude und Leidenschaft.
An einem Frühlingsmorgen war es schließlich so weit – der gefürchtete Pierre de Coëtivy erschien in der Stadt. Es war Anfang April, und das Eis, das den Boden den ganzen Winter hindurch bedeckt hatte, taute langsam auf.
Meister Gauthier war mittlerweile sehr zufrieden mit seiner neuen Arbeitskraft. Mit viel Sinn für die damaligen historischen und künstlerischen Formen fühlte sie sich geradezu in die Atmosphäre jedes Teppichs ein, als gehöre sie schon immer zu den größten Teppichwebern.
Während sich Jacquou durch nichts verdrießen ließ, weil er die Webstühle besser als jeder andere Weber bedienen, seine Schussfäden durch die Kettenfäden ziehen und das Schiffchen und den Weberkamm reparieren konnte, so wie er das schon seit seiner frühesten Jugend gemacht hatte, so schien Alix in jeder Hinsicht der kluge Kopf von den beiden zu sein.
Deshalb bemühte sich Meister Gauthier auch immer wieder um die kleine Alix. Fleißig, ausdauernd und aufmerksam lernte sie unvergleichlich schnell, nahm sich aber auch immer wieder Zeit, die Meisterwerke an den Wänden der Werkstatt zu bestaunen – diese riesengroßen Geschichten erzählenden Wandteppiche, die von Hand auf den Webstühlen gefertigt wurden, auf die man die Kettenfäden aufzog und dann feine Fäden aus Arras oder Seide, oder auch aus Silber oder Gold einlegte, um den Wert des Kunstwerks zu steigern.
Sie kam mit ihrer Arbeit, der
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