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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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zurückgebracht habe. Erinnerst du dich nicht, Gauthier?«
    Meister Gauthier war jetzt auch aschfahl im Gesicht. Er sah Alix an, die Coëtivy mit den Händen auf der Kette ihres Webstuhls abwartend und kühl beobachtete. Dann nahm sie sie langsam weg, stand auf und ging ein paar Schritte auf ihn zu, wobei sie sich die größte Mühe gab, ruhig zu bleiben.
    »Meister Coëtivy«, sagte sie laut und deutlich, »ich war erst acht, als ich mich in Jacquou verliebt habe, und ich liebe ihn noch immer. Glaubt also nicht, ich würde ihn jemals vergessen, nur weil Ihr das so beschlossen habt. Ich werde ihn mein ganzes Leben lieben.«
    Dann verlor sie allmählich die Beherrschung, kam immer näher auf ihn zu und verhöhnte ihn beinahe mit dem unerbittlichen Ton, in dem sie fortfuhr:
    »Ja, Meister Coëtivy, mein ganzes Leben lang!«
    Während Arnold zur Seite getreten war, rückten Benoîte, Aubert, Aliette und die Übrigen immer näher wie Fliegen um eine volle Milchschüssel, um nur ja nichts zu verpassen.
    »Was hast du dazu vorzubringen?«, fragte Coëtivy mit beißendem Spott.
    »Aber … Aber das ist doch die Cousine von Arnaude«, stotterte der arme Gauthier.
    »Verdammt noch mal!«, fluchte Coëtivy. »Das ist eine Waise, eine Intrigantin, eine …«
    »Das verbitte ich mir!«, rief Alix und stellte sich so vor ihn, dass nur noch zwei Fingerbreit zwischen ihr und seinem Wams aus Seidenbrokat blieben.
    »Da kann ich dir jetzt aber wirklich nicht zustimmen«, gelang es Gauthier zu widersprechen, der endlich wieder etwas Selbstsicherheit gewonnen hatte. »Sie ist eine gute Arbeiterin, klug, aufmerksam und sehr begabt.«
    »Eine Abenteurerin ist sie!«
    »Nein, Meister Coëtivy!«, fuhr jetzt auch Jacquou dazwischen, der seinen Arm um Alix gelegt hatte und sie ein Stück wegziehen wollte. »Nein, das ist nicht wahr. Da täuscht Ihr Euch.«
    Aber Alix befreite sich ungestüm aus Jacquous beruhigender Umarmung, stürzte sich wie eine Furie auf ihren Peiniger, packte voller Wut seine Rockschöße und zerrte daran.
    »Ihr seid ein Ungeheuer, und ich hasse Euch!«
    »Was kümmert’s mich. Lass mich sofort los.«
    Ohne mit der Wimper zu zucken, musterte sie Coëtivy mit einem zynischen und abschätzigen Blick. Alix kam sich plötzlich ganz albern vor, wie sie da mit ihren zornigen Händen die schön geordneten Samtarabesken auf seinen Rockschößen durcheinanderbrachte.
    »Zu dumm, dass ich in die Bretagne gereist bin, ohne vorher nach Tours zu fahren«, sagte er mit eisiger Stimme. »Ich hätte wahrscheinlich mehr als einen Monat gewonnen, wäre ich direkt hierhergekommen. Und ihr hättet vermutlich einige gemeinsame Erinnerungen weniger!«
    Jetzt wandte er sich an Jacquou.
    »Aber nun ist damit endgültig Schluss, mein Kleiner. Sag ihr meinetwegen adieu, aber dann ist es Zeit, zur Vernunft zu kommen.«
    »Was soll das heißen? Zur Vernunft kommen«, wiederholte Jacquou.
    »Es ist genug, Jacquou.«
    Dann verließ ihn die Geduld, und an Alix gewandt rief er:
    »Raus hier! Ich fordere dich hiermit auf, meine Werkstatt zu verlassen! Raus jetzt! Verschwinde auf der Stelle!«
    »Wenn das so ist, gehe ich mit ihr!«, schrie Jacquou.
    »Nein! Du bleibst hier. Du hast mir schließlich zu gehorchen.«
    Jetzt war es an Alix, die Beherrschung zu verlieren. Ihr eben noch leichenblasses Gesicht wurde auf einmal rot vor Zorn. Sie spürte, dass ihre Hände vor Wut zitterten und das Blut in ihren Adern kochte. Das ging nun wirklich zu weit.
    »Mit welchem Recht verlangt Ihr von ihm Treue und Gehorsamkeit?«
    »Ich bin sein Meister.«
    »Aha! Nun gut, aber weil Ihr nur sein Meister seid«, schrie sie und betonte dabei noch das Wort »nur«, »habt Ihr ihm gar nichts zu sagen, was sein Privatleben angeht. Er ist ein guter Schüler, wie Ihr wisst. Das sollte Euch genügen.«
    »Und du solltest nicht in diesem Ton mit mir reden, Satansbraten.«
    »Ich rede mit Euch, wie ich will und wie es nötig ist!«
    Der Webermeister wandte sich jetzt wieder an Jacquou, der vor Angst und Ungewissheit nicht ein noch aus wusste. Er fühlte sich zutiefst in seinem empfindsamen Wesen getroffen und konnte sich nicht mehr entscheiden, zu wem er halten sollte. Auf der einen Seite war da sein Vater, der ihn niemals offiziell anerkannt, ihm aber doch alles gegeben hatte – eine Erziehung, einen Beruf und Zuneigung, zwar keine väterliche, aber doch immerhin eine aufrichtige und aufmerksame Zuneigung; und auf der anderen Seite seine junge Frau, die er über alles

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