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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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lachen, was aber sofort seine Bronchien reizte, die wohl doch noch sehr angegriffen waren, und zu einem neuen Hustenanfall führte.
    »Aber ein alles andere als bedeutender Cousin, jedenfalls gemessen an der Größe seines Vermögens«, brachte er heraus und hielt sich die Hand vor den Mund, um den nicht enden wollenden Husten zu unterdrücken.
    »Still, Ihr müsst Euch ausruhen«, sagte Renaude und eilte zu ihm. »Ich glaube kaum, dass Ihr morgen abreisen könnt.«
    »Und wenn schon, das macht nichts«, meinte Guillaume, »wir behalten Euch hier, bis Ihr ganz wiederhergestellt seid.«
    Es dauerte noch zwei Tage, bis sich der Graf d’Angoulême wieder einigermaßen von seiner Krankheit erholt hatte. Am vierten Morgen endlich war Charles dann wieder auf den Beinen, ausgeruht, Wams und Umhang schneidig geschultert, den Hut stolz auf dem Kopf und bereit, sich erneut den Abenteuern einer Reise zu stellen.
    »Dürfte ich vielleicht Eure Werkstatt besichtigen, ehe ich aufbreche, Meister Guillaume? Ich bin nämlich ein großer Liebhaber von schönen Einbänden.«
    Der Hausherr war hocherfreut, und seine Augen leuchteten stolz. Eine solche Bitte von einem Mitglied der königlichen Familie konnte ihn nur glücklich stimmen. Der junge Buchbinder war erst seit zwei Jahren sein eigener Herr und hatte noch nicht genug betuchte Kunden, um seine Werkstatt zu vergrößern; aber sein Ruf reichte bereits weit über die Grenzen von Poitiers hinaus.
    Guillaume hatte nur einen einzigen Lehrling, der außerdem noch sehr jung war und nur die einfacheren der anfallenden Arbeiten erledigen konnte; bei den ganz eiligen und sehr schwierigen Aufträgen half ihm deshalb seine Frau Renaude.
    Sie betraten die kleine Werkstatt, in der stapelweise gefärbtes Leder und Pergament lagerten.
    »Weil ich nicht als Bürgerlicher geboren bin, musste ich erst die Abgaben für das Recht, Bucheinbände herzustellen und zu verkaufen, bezahlen. Deshalb sind wir hoch verschuldet und können es uns, wenigstens zurzeit, leider nicht leisten, sorgfältig gefärbtes Lammleder zu kaufen.«
    »Das kommt schon noch«, meinte Charles und betrachtete die bebilderten Handschriften, die auf dem Tisch ausgebreitet waren: Es handelte sich um Alltagsszenen aus dem Schlossleben, auf denen vornehme Damen und Herren in großer Robe und anmutiger Haltung zu sehen waren. Musik, Poesie, Feste, Lanzenstechen, Jagden und Kämpfe – alles hatte man in wunderbar leuchtende Farben übertragen.
    Charles beugte sich über ein großformatiges Manuskript, dessen Seiten auf einem der langen Tische aufgeschlagen lagen.
    »Stammt das hier nicht aus dem ›Stundenbuch des Herzogs von Berry‹?«, fragte er den Buchbinder.
    »Ja, sehr richtig, mein Herr. Es handelt sich um eine der vielen Seiten des Originals. Es freut mich sehr, dass Ihr es kennt. Die Malereien sind hervorragend. Der Duc de Berry hat sie um 1400 bei Herrn von Limburg in Auftrag gegeben, dem größten Illuminierer seiner Zeit. Natürlich würde ich gern auch die anderen binden. Aber diese hier sollen die schönsten sein.«
    »Ihr habt aber wirklich sehr schöne Arbeiten hier«, sagte der Graf bewundernd und deutete auf die anderen Pergamente. »Dies hier erinnert mich an ein Werk, das mein Vater einmal für unser Schloss in Angoulême erworben hat, ein Jahr vor seinem Tod. Der Einband war noch ganz neu. Was sind denn das für Ornamente?«
    »Das sind Osterluzeien, so etwas Ähnliches wie Mille Fleurs. Sie werden hier in der Gegend sehr häufig verwendet«, erklärte Renaude, die an den Tischen entlangging und die kostbaren Bilder bewunderte. »Seht nur, wie vollkommen die Pflanze wiedergegeben ist.«
    Vorsichtig fuhr Charles mit dem Finger die Darstellung einer Osterluzei nach. Ihr dekorativer Charme inspirierte die Maler und Bildhauer der damaligen Zeit sehr. Die Osterluzei, eine wuchsfreudige Kletterpflanze, rankte sich seinerzeit um fast alle Torbögen, Gesimse, Mauervorsprünge und Giebel.
    Wenn man die Zeichnung länger betrachtete, schien es, als ob ein Zauber von ihr ausging. Die Blattspiralen rollten, drehten und verflochten sich zu erstaunlichen Windungen.
    Die verschlungenen Formen passten zu den Vögeln, die sich anmutig daruntermischten. Das Ganze war der Inbegriff von Glückseligkeit, Anmut und Erhabenheit.
    Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass Hintergrund und Blätter Ton in Ton mit grüner und blauer Farbe und gekonnten Abmischungen von Gelb und Ocker koloriert waren. Das Ganze erinnerte irgendwie an

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