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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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zurückbezahlt. Schulden von Pflichtgefühl und Zuneigung, während Ihr ihm nur das Pflichtgefühl erstattet habt, das Ihr ihm schuldet. Warum also mischt Ihr Euch in unsere Liebesgeschichte ein? Das geht Euch gar nichts an, Meister Coëtivy.«
    Sie ging ganz nahe zu ihm hin und sagte:
    »Es geht Euch gar nichts an, weil Ihr gar nicht fähig seid zu lieben.«
    Er stieß sie so brüsk von sich, dass sie gegen einen Tisch fiel, auf dem Zeichenkartons gestapelt waren.
    »Jacquou!«, rief er und ging auf seinen Sohn zu. »Heute sage ich es dir vor allen Leuten: Ich bin dein Vater.«
    »Ja, Ihr seid sein Vater!«, schrie Alix, »daran hättet Ihr schon mal früher denken sollen. Jetzt ist es zu spät.«
    Wenn angesichts dieser ebenso düsteren wie banalen Familiengeschichte ein Blitz in das Dach der Werkstatt eingeschlagen und alles verwüstet hätte, wäre es auch nicht schlimmer gewesen. Benoîte und Aliette standen mit offenem Mund da, und Arnold hatte sich in die hinterste Ecke der Werkstatt zurückgezogen, wo er darauf wartete, dass das Unwetter auch über ihn hereinbrach, weil er dieses scheinbar unauflösliche Drama mit verursacht hatte. Gauthier war ebenfalls ganz blass und wischte sich nervös den Schweiß von der Stirn.
    Immerhin hatte nun jeder begriffen, warum sich Meister Coëtivy schon immer so besonders um Jacquou gekümmert hatte. Aber dessen Zorn war weit davon entfernt, sich zu legen, und der von Alix schien wieder aufzuflammen, obwohl ihre Stimme jetzt etwas leiser, aber noch immer angespannt und sehr angriffslustig klang.
    »Immer habt Ihr Euch hinter dieser offenkundigen Tatsache versteckt. Und Dame Bertrande, die Jacquou von Herzen gern hat, weiß nicht, dass er Euer Sohn ist. Werdet Ihr ihr das jetzt endlich sagen?«
    »Das geht dich gar nichts an, du unverschämtes Luder.«
    Dann trat er zu Jacquou und nahm ihn entschlossen am Arm.
    »Komm jetzt mit. Wir gehen.«
    »Ich bleibe bei Alix.«
    Coëtivy knirschte mit den Zähnen und schlug mit der Faust auf den Tisch, neben dem er stand. Dann beschloss er, sich Gauthier vorzunehmen.
    »Wenn du dieses Mädchen hier in der Werkstatt behältst, Gauthier, kannst du dir eine neue Arbeit suchen. Ich finde schon einen anderen Webermeister, der deinen Platz übernehmen kann.«
    Damit war er nun wirklich zu weit gegangen. Benoîte, Aliette und Aubert verzogen sich, während Arnold langsam aus seiner Ecke kam, um Meister Gauthier, wenn nötig, verteidigen zu können. Der hatte aber inzwischen zu seiner alten Autorität zurückgefunden.
    »Alix ist eine gute Arbeiterin«, sagte er und hielt dabei dem Blick seines Herrn stand.
    »Halt den Mund!«, brüllte Coëtivy. »Es wird gemacht, was ich sage, wenn du dich nicht an meine Anweisungen hältst. Und du kommst jetzt mit mir mit, Jacquou. Wir reisen nach Flandern. Du hast der Webergilde dein Meisterwerk vorzustellen. Es ist höchste Zeit, dass wir die Sache angehen.«
    »Nein, ich bleibe hier!«
    »Bitte, Jacquou!«, rief Alix und warf sich in seine Arme. »Geh mit ihm, und kehre als erfolgreicher, angesehener Mann zurück. Ich bitte dich wirklich – geh. Wenn du zurückkommst, bist du ein bedeutender Weber. Davon bin ich überzeugt. Aber vorher musst du dein Meisterstück präsentieren.«
    Plötzlich fiel ihr ein, was Kardinal Jean zu ihr gesagt hatte, und sie flüsterte ihm ins Ohr:
    »Vergiss nicht, dass wir verheiratet sind, mein lieber Jacquou. Ich warte auf dich. Und jetzt geh unbesorgt, und versuch den Mann zu finden, der dein Vater ist, auch wenn ich ihn nicht leiden kann.«

11
     
    Charles d’Angoulême hatte Paris bei strömenden Regen verlassen und war trotz seines weiten Mantels bis auf die Haut durchnässt. Der Wind fuhr ihm unters Hemd und machte ihm schwer zu schaffen.
    »Teufel noch eins! Was für ein Sturm«, knurrte er. »Ich bin schon ganz erschöpft. Eigentlich sollte ich mal eine Pause machen, aber hier ist weit und breit kein Gasthaus. He, Pardaille, was meinst du, sollen wir uns irgendwo unterstellen?«
    Das Pferd, dem Wind und Regen auch stark zusetzten, wieherte laut, um seinem Herrn zu verstehen zu geben, dass es dieses Tempo nicht mehr lang durchhalten würde.
    Obwohl es Nacht wurde und die Dunkelheit alles verschluckte, entdeckte Charles eine große Eiche, deren ausladende Äste ihnen als provisorischer Unterstand dienen konnten.
    »Ach was, mein guter Pardaille, wir reiten weiter! Wir alten Hasen werden doch wohl nicht so schnell aufgeben!«
    Ein Hustenanfall unterbrach seinen Elan

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